Münster trotz Etat-Ausgleichs keine Finanzinsel

17.12.1997

Defizite durch Rücklagen "mit Ach und Krach zu stopfen" / Stadtkämmerer Tillmann: "Vorbeugen ist besser als heilen"

(SMS) „Der Stadt Münster geht es – noch – vergleichsweise gut. Wie in frühe-ren Jahren kann ich dem Rat einen ausgeglichenen Entwurf des Haushalts für das nächste Jahr vorlegen, dessen Gesamtvolumen auf 1 Milliarde 377 Millio-nen DM wächst. Allerdings werden rund 25 Mio DM des städtischen ‘Sparstrumpfs’ eingesetzt, damit das absehbare Defizit bei den laufenden Ein-nahmen und Ausgaben beseitigt werden kann. Zur Finanzierung der hohen In-vestitionen von 257 Mio DM müssen außerdem über 140 Mio DM an Krediten aufgenommen werden. Der städtische Schuldenstand wird sich dadurch bis Ende 1998 voraussichtlich auf 800 Mio DM erhöhen – Tendenz für die nächsten Jahre: weiter stark steigend. Wenn wir dies nicht wollen, hilft nur eins: Prioritä-ten bilden, Wichtiges von weniger Wichtigem trennen, eisern sparen – um Ei-genreserven zu bilden und rote Zahlen zu vermeiden –, Investitionen auf Ren-tierlichkeit abklopfen und frei nach Ludwig Erhard: mit allem Maß halten!“ Dies sind die zentralen Botschaften des Haushalts-Zahlenwerks, das Stadtkämme-rer Dr. Berthold Tillmann in der Ratssitzung am 17. Dezember vorgestellt hat.

Die Kernprobleme des städtischen Haushalts „Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr!“ – Diesen resignativen Stoßseufzer und eine differenzierte Problemskizze schickte Tillmann in seiner Haus-haltsrede vor dem Rat der Stadt Münster den guten Nachrichten über Haushalts-ausgleich, Gewerbesteuerentwicklung und Investitionstätigkeit voraus. Dabei hob er fünf Problemfelder der städtischen Finanzen hervor:

Münster sei keine Insel, betonte der Finanzchef: „Die Aushöhlung des staatlichen Steuerkuchens bewirkt, daß das münstersche Kuchenstück bei gleichem Vertei-lungsmodus immer kleiner wird.“ Der Rückgang der Einkommensteuer und die Tal-fahrt der Schlüsselzuweisungen gegen Null sowie die kommunalen Kosten der ho-hen Arbeitslosigkeit belegten dies überdeutlich. Auch die Ausnahmesituation Mün-sters im Bereich der Gewerbesteuern sei keine sichere Bank. Zwar würden bei zu-rückgehenden Gewerbesteuereinnahmen prinzipiell die Schlüsselzuweisungen an Münster wieder steigen, ihre Höhe sei jedoch abhängig von der verfügbaren Ge-samtmasse und der Steuerstärke der anderen Städte – und die sei auf einem äu-ßerst niedrigen Niveau. „Wir würden also schnell in den Keller der roten Zahlen rut-schen, in dem sich die meisten Kommunen schon befinden“, resümierte Tillmann mit Blick auf seine Kollegen.

Besonders unbefriedigend sei, daß die Stadt künftig, Jahr für Jahr, nach den vorlie-genden Planzahlen deutlich mehr Geld ausgeben als einnehmen werde. Daraus entstände ein sog. „strukturelles Defizit“, das der Stadtkämmerer aus der im wesent-lichen gewerbesteuerfinanzierten Rücklage allenfalls noch bis 2001 – und das auch nur noch „mit Ach und Krach“ – ausgleichen könne. Dies führe zugleich zu dem Problem, daß der laufende Haushalt deutlich zu wenig Eigenkapital erwirtschafte, mit dem die Stadt das hohe Niveau ihrer Investitionsausgaben mitfinanzieren könnte. Tillmann besorgt: „Diese fehlenden Mittel müssen wir uns auf dem Kreditmarkt holen mit der Konsequenz, daß der Schuldenberg der Stadt rapide steigt!“

Schließlich zeichnet sich nach den vorliegenden Zahlen die Gefahr ab, daß Rat und Verwaltung ab 2002 die ursprünglichen Defizite möglicherweise nicht mehr auffan-gen können und der städtische Haushalt dann ungeschützt Jahr für Jahr mit zwei-stelligen Miobeträgen echt in die roten Zahlen rutschen werde. Da helfe nur, so Till-mann: „Rechtzeitig, d.h. bald umsteuern!“ – Denn: „Unser Problem ist zusammenge-faßt, daß wir trotz unserer relativ guten Finanzlage – zukunftsbezogen – über unsere Verhältnisse leben, daß wir diese Tatsache noch allzugern verdrängen und daß wir den Zeitpunkt verpassen könnten, an dem noch eine nachhaltig wirksame finanzpoli-tische Prophylaxe möglich wäre.“

Die Finanz-Eckwerte des Haushalts 1998 und der Finanzplanung bis 2001 Mit einem Dutzend Fakten hat der Finanzdezernent den vorgelegten Etat und die mittelfristige Finanzplanung beschrieben und damit auch die städtischen Finanzpro-bleme in Mark und Pfennig belegt. Gegenüber dem im März ‘97 beschlossenen Etat für das laufende Jahr steige das Volumen des sog. Verwaltungshaushalts, der alle nicht investiven Etatpositionen enthält, um 2,9Prozent auf 1,059 Milliarden DM. Auf der rechtlich gerade noch zulässigen Mindestkante könne dieser Haushaltsentwurf ausgeglichen werden. Rund 25 Mio DM müßten hierzu allerdings dem städtischen Sparstrumpf entnommen werden, und im Umfang von 2 Mio DM müßten Liegen-schaftserlöse das Haushaltsloch stopfen. Mit den kalkulierten Steuereinnahmen in Höhe von 654 Mio DM können annähernd zwei Drittel der laufenden Ausgaben fi-nanziert werden. Die Schlüsselzuweisungen des Landes werden allerdings – nach noch rund 100 Mio DM 1993 – dramatisch auf einen Zahlungsbetrag von Null ein-brechen. Tillmann: „Münster geht damit erstmals leer aus, und wir müssen uns an das Bibelwort halten, daß ‘Geben seliger ist denn Nehmen’.“

Weitere Fakten: Der Vermögenshaushalt wächst um 12,4 Prozent auf 318,2 Mio DM. Die echten Investitionen belaufen sich voraussichtlich auf fast 257 Mio DM und stei-gen damit um stolze 15,4 Prozent gegenüber dem Nachtrag 1997. Die Netto-Neuverschuldung ‘98 macht einen Sprung auf 113,8 Mio DM, ein Anstieg um fast 25 Prozent. Etwa 55 Prozent der städtischen Investitionsausgaben müssen über neue Kredite finanziert werden. Bei dieser Entwicklung wird Münster die Größenord-nung von statistischen 3.000 DM Schuldenstand pro Kopf Ende ‘98 knapp über-schreiten. Die erste Schulden-Milliarde der Stadt ist nach der vorgelegten Finanzpla-nung schon gegen Jahresmitte 2001 erreicht, mit allen negativen Konsequenzen für den Schuldendienst.

Geld als knappes Gut – Schulden als Zukunftsproblem Nach den Hinweisen über die aktuelle Haushaltslage und ihre mittelfristigen Per-spektiven legte Tillmann den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die Entwicklung der städtischen Schulden und der damit verbundenen Zukunftsprobleme und thema-tisierte die Grundsatzfrage einer langfristigen Schonung der städtischen finanziellen Ressourcen im Rahmen der angestrebten „Lokalen Agenda“ für eine nachhaltige Stadtpolitik.

Hierbei illustrierte der Kämmerer, „daß nicht nur Natur und Umwelt, sondern auch öffentliche Finanzmittel ein zunehmend knappes, von daher teures, begehrtes und schutzwürdiges Gut sind und öffentliche Schulden durchaus gefährliche Ozonlöcher in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Atmosphäre reißen können.“

Zwar sei der aktuelle Schuldenstand der Stadt mit rund 680 Mio DM noch nicht übermäßig hoch, doch blinkten die ersten Warnzeichen für die nächsten Jahre deut-lich auf und deuteten an, „daß auch wir unsere Finanzpolitik bald umorientieren müssen“, so brachte Tillmann seine Forderung auf den Punkt. Dabei gehe es dem Kämmerer nicht darum, so stellte er unmißverständlich klar, „die Neuverschuldung der Stadt kurzfristig auf Null zu reduzieren und auf erforderliche Zukunftsinvestitio-nen zu verzichten.“ Vielmehr schlug er Rat und Verwaltung ein Fünf-Punkte-Programm für eine „nachhaltig wirksame Therapie zur Behebung unserer Konstituti-onsschwäche vor.“ Kurz gefaßt heißt dies: für die perspektivische Problematik sen-sibilisieren, die Schuldenentwicklung sorgfältig beobachten und darüber öffentlich berichten, keine „Bilanzkosmetik“ betreiben, keine städtischen Schulden in sog. „Schattenhaushalte“ verschieben und – vor allem – für die künftigen Investitionen eine langfristig solide Finanzierung realisieren.

Für die Investitionspolitik, die an den erheblich steigenden Belastungen aus dem städtischen Schuldenberg mitverantwortlich ist, formulierte der Kämmerer einige spezielle Therapie-Vorschläge, deren Umsetzung allerdings, wie Tillmann zuge-stand, „schmerzhaft und schwierig“ sei. Man müsse sich aber vergegenwärtigen, daß es insgesamt darum gehe, „einen vernünftigen Weg zwischen politischer Wirksam-keit und finanzieller Genügsamkeit zu finden, der die öffentliche Schuldenfalle als Zukunftsproblem nicht nur zu erkennen, sondern auch zu vermeiden ermöglicht“, so Tillmann.

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