Neue Wege geht das Internationale Lyrikertreffen Münster und überrascht nach einem Jahr pandemiebedingter Pause mit einem innovativen und vielseitigen Programm. Auf Einladung vom Kulturamt der Stadt Münster in Kooperation mit dem Literaturverein Münster treten internationale Lyrikerinnen und Lyriker Mitte Mai die Reise nach Westfalen an und lassen das Schlosstheater zur Bühne für die Auseinandersetzung mit Gegenwartslyrik werden. Möglich gemacht wird das Festival durch Förderungen der Kunststiftung NRW und dem Deutschen Übersetzerfonds. Was die Gäste alles im Gepäck haben und worauf man sich besonders freuen darf, wird in einer dreiteiligen Serie vorgestellt. Im heutigen letzten Teil: ein Interview mit Aurélie Maurin und Ulf Stolterfoht, dem neuen kuratorischen Leitungsteam des Lyrikertreffens.
Warum ist Lyrik heutzutage wichtig?
Stolterfoht: Für mich macht Lyrik aus, dass sie das abbildet, was ich auf keine andere Art haben kann. Gedichte stehen für etwas Abstraktes, sie geben Raum zum Denken, sie sind Angebote für eine andere Lebensform. Ich höre viel improvisierte Musik, da ist das genauso. Das Schöne an der Lyrik ist ja auch, dass sie wie jede Kunst zweckfrei ist. Und auf dieser Zweckfreiheit sollten wir beharren, als Produzierende genauso wie als Rezipierende. Gerade daraus, dass sich die Lyrik den Verwertungszusammenhängen weitgehend entzieht, erwächst ihr besonderer Wert. Und wenn man dann von Lyrik vorgeführt bekommt, dass es nicht so sein muss, wie es ist, dass vielmehr auch ein ganz anderes Leben, eine ganz andere Welt möglich wäre, und dass Schönheit in ihrer reinen Existenz ein großes Glück bedeutet, dann ist das mehr als genug. Mir jedenfalls würde das reichen.
Was haben Sie sich als kuratorisches Leitungsteam Neues vorgenommen?
Maurin: Was mir bisher sehr gut gefallen hat, ist das internationale Fenster, das wir noch weiter öffnen möchten, indem wir viele Gäste aus dem Ausland einladen. Ein Ansatz ist zum Beispiel, ein Programm rund um das Land der Preisträgerin oder des Preisträgers zu konzipieren, als eine Art Mini-Länderschwerpunkt, der in diesem Jahr Polen bzw. Osteuropa sein wird. Das Lyrikertreffen in Münster hat mich in dieser Hinsicht schon lange beeindruckt. Diese exklusive Ausrichtung auf internationale Dichtung und Übersetzung ist ein wichtiges Vorbild für viele Festivals oder Preise wie zum Beispiel den Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt, der Übersetzung und Original gleichermaßen ehrt. Ganz am Anfang stand aber Münster mit seinem Preis für Internationale Poesie.
Wie haben Sie Ihre Wahl für die eingeladenen Dichterinnen und Dichter getroffen?
Stolterfoht: Wenn wir von der Abendlesung am Freitag sprechen, so hat der Lesungstitel „Aus laufender Arbeit“ einiges mit dem bereits Angedeuteten zu tun. Normalerweise finden Lesungen dann statt, wenn es etwas Neues vorzustellen und im Anschluss zu verkaufen gibt. Lyrikbände aber brauchen Zeit, um geschrieben zu werden, oft mehr als nur ein oder zwei Jahre. Um diesen Mechanismus aufzubrechen, haben wir Dichterinnen und Dichter eingeladen, eben nicht aus einem fertigen Buch, sondern aus einem noch in Arbeit befindlichen Manuskript vorzulesen. Dass wir darüber hinaus nicht nur die fünf an der Abendlesung Beteiligten, sondern alle Eingeladenen über die Maßen schätzen und ihre Arbeit großartig finden, muss hoffentlich nicht extra betont werden.
Welche Themen bilden in diesem Jahr das Herzstück des Lyrikertreffens?
Maurin: Wir haben das Programm mit besonderem Augenmerk auf Übersetzungskultur zusammengestellt und möchten die Übersetzungskunst wie einen roten Teppich durch das Programm rollen lassen. Uns ist es ein wichtiges Anliegen, Übersetzerinnen und Übersetzer in die Veranstaltungen einzubinden, gerade in ihrer Rolle als Expertinnen und Experten von lyrischen Traditionen, als Fachleute für Verständigung und als politische Akteurinnen und Akteure. Wir präsentieren auch neue Formate, die den Übersetzungsprozess sinnlich in Szene setzen, etwa durch Interlinearübersetzungen, automatisierte Übersetzungen und einem Vergleich der Varianten. Das Publikum wird in den Prozess der Live-Übertragungen einbezogen. Auch das diesjährige Thema „Pathos“ wurde in einer Werkstatt vorab aus vielerlei Übersetzungsperspektiven beleuchtet und angeregt. All die Gespräche zur Übersetzbarkeit von Pathos laden zu einer Reise durch verschiedenste poetische Traditionen, Sprachwelten und politische Situationen ein.
Welchen Programmpunkt des Festivals können Sie besonders empfehlen?
Stolterfoht: Als ich in grauer Vorzeit zum ersten Mal zum Lyrikertreffen in Münster eingeladen wurde, war ich ehrlich erstaunt über das hiesige Publikum. Gar nicht so wenige der Zuhörerinnen und Zuhörer hatten, so wie ich, vor der ersten Lesung ihren Platz eingenommen und sollten ihn nicht wieder verlassen, bis spät in der Nacht auf Sonntag das letzte Gedicht gelesen war. Nirgendwo sonst habe ich ein so interessiertes Publikum mit einem solchen Sitzfleisch erlebt! Deshalb werde ich auch den Teufel tun und hier irgendeine der Veranstaltungen besonders hervorheben. Ich empfehle vielmehr den Kauf einer Gesamtkarte und weiß gleichzeitig, dass es dieser Empfehlung nicht bedarf. Die Münsteranerinnen und Münsteraner machen das sowieso!
Info: www.lyrikertreffen.muenster.de, Karten an der Theaterkasse Tel. 02 51 / 68 66 39 92. Gesamtkarten sind zum Preis von 39,00 EUR / ermäßigt 25,00 EUR erhältlich.
Logos: Lyrikertreffen, Kunststiftung NRW, Deutscher Übersetzerfonds
Portraits: Aurelie Maurin / Ulf Stolterfoht. Fotos: Dirk Skiba. Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.