In der Vergangenheit stellten Geschichtsschreibung und Öffentlichkeit die Regentschaft der Täufer in Münster meist negativ als singuläre Schreckensherrschaft mit kuriosen Begleiterscheinungen dar. Einen anderen Weg schlägt die Ausstellung unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten ein: "Sie räumt mit zahlreichen Mythen auf, rückt das Bild der Vorgänge 1534/35 in der Stadt Münster in ein historisch neutrales Licht und zeigt erstmals in diesem Umfang das europaweite Nachwirken der Täuferherrschaft bis heute", benennt Stadtmuseumsdirektorin Dr. Barbara Rommé den wissenschaftlichen Anspruch.
Die Präsentation reduziert sich nicht auf eine Episode aus der Stadtgeschichte Münsters. Vielmehr untersucht sie den fruchtbaren Nährboden für die Täufer mit den religiösen, sozialen und politischen Konflikten im frühen 16. Jahrhundert. Diese Vorgeschichte mit den Zusammenhängen von Reformation und Reichspolitik wird ebenso thematisiert wie die umfangreiche Rezeptionsgeschichte. Die "Wiedertäufer" waren und sind europaweit Thema in Geschichte, Kunst, Kultur und Literatur - die Ausstellung liefert dazu erstmals in diesem Umfang anschauliche Beispiele aus fünf Jahrhunderten.
Aus Dresden kommt der "Goldene Abschlag"
"Leihgaben aus ganz Europa unterstreichen den internationalen Charakter der Ausstellung", betont Münsters Kulturdezernentin Helga Boldt. Aus großen Museen, Archiven und Privatsammlungen habe das münstersche Museumsteam um Dr. Barbara Rommé, Dr. Bernd Thier und Dr. Rita Kauder-Steiniger bedeutende Exponate zusammengetragen. So trat neben der berühmten Gresbeck-Handschrift ein weiteres kostbares Objekt zum ersten Mal wieder nach den historischen Ereignissen den Weg in seine Herkunftsstadt an: Aus der Staatlichen Kunstsammlung Dresden kommt der "Goldene Abschlag", die einzige bis heute erhaltene Medaille, die nachweislich im Täuferreich geprägt wurde. In einer Vitrine gesichert, erinnert sie an den 13. Oktober 1534. An diesem Tag sandte "Täuferkönig" Jan van Leiden 27 Apostel in alle vier Himmelsrichtungen aus - sie sollten der Welt das Evangelium verkünden. Jeder der Prediger hatte eine Münze bei sich, doch diese Mission endete mit dem Tod fast aller in einer Katastrophe. Der "König" konnte seine Herrschaft außerhalb Münsters nicht antreten.
Ausstellungsaufbau
Weltuntergangsstimmung, Umbruch zur Neuzeit, Belagerung Wiens durch die Türken, Erhebung der Bauern - mit einem gesamteuropäischen Szenario zur Zeit Kaisers Karls V. setzt die ins sechs Teile gegliederte Ausstellung "Das Königreich der Täufer" ein. Hier werden die Besucher eingestimmt auf die Konflikte zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft, auf Kirchenkritik, Reformation, auf Entstehung und Verbreitung der Täufer. Sinnfällig steht in diesem Abschnitt das noch nie öffentlich gezeigte Gemälde einer Kindtaufe aus dem Umkreis von Lucas Cranach dem Älteren um 1530/50. An der Säuglingstaufe entzündete sich der Streit um die "Wiedertäufer". Sie verweigern die Kindtaufe, denn nur nach dem bewussten Verstehen des Glaubensbekenntnisses - also im Erwachsenenalter - könne man die Taufe empfangen. Eine Auffassung, die der Reichtstag zu Speyer 1529 mit der Todesstrafe belegte.
Wegbereiter der reformatorischen Bewegung in Münster sind auch die evangelischen Lehren von Bernhard Rothmann. Sie stehen mit anderen Archivalien im Mittelpunkt des zweiten Ausstellungsabschnittes "Reformation in Münster". Später zieht der immer radikaler argumentierende Prediger Täufer aus den Niederlanden und anderen Teilen des Reiches nach Münster, die als Auserwählte Gottes das nahe Weltende in Münster überstehen und danach mit Christus 1000 Jahre in Frieden leben wollen.
Inszenierung zeigt Belagerung
Mit der Ratswahl am 23. Februar 1534 beginnt die Täuferherrschaft in Münster und damit auch die fürstbischöfliche Belagerung der Stadt. Eine aufwändige stimmungsvolle Inszenierung lässt die Besucher eintauchen in die historische Situation: Hinter der gleichermaßen schützenden wie isolierenden hohen Stadtmauer das "Königreich der Täufer", außen die ausdauernde Macht des reichsrechtlich verantwortlichen Herrschers mit Schlachtplan und militärischer Potenz.
Aldegrever-Zeichnung: Der "König" im Kerker
Nur wenige echte Zeugnisse der münsterschen Täuferherrschaft haben die Jahrhunderte überdauert. Sie bilden das Herzstück der Ausstellung. Darunter ist das wohl berühmteste Bild des "Täuferkönigs" als wertvolle Leihgabe des Britischen Museums London. Heinrich Aldegrever, ein Künstler aus Soest, porträtierte Jan van Leiden 1535 im Kerker, wenige Monate vor der Vollstreckung des Todesurteils. Vom Scheitern der Täuferherrschaft künden auch die zahlreichen ausgestellten Verhörprotokolle mit für die Forschung wichtigen Aussagen über die Täufer. Stumme Zeugen schließlich für das so oft beschriebene Ende der Täufer sind die ausgestellten Folterwerkzeuge: Mit glühenden Zangen wurden die drei Anführer - Jan van Leiden, Bernd Krechtinck und Bernd Knipperdollinck - misshandelt und mit einem Dolch getötet - ganz so, wie es die damals geltende kaiserliche Gerichtsordnung beschied.
"Über den Umgang mit der eigenen Geschichte" ist der nachfolgende Ausstellungbereich überschrieben. Auf der Suche nach der Vergangenheit kam es zur Wiederentdeckung vermeintlich originaler Hinterlassenschaften der Täufer. Diese "Reliquien" der Stadtgeschichte sind hier zu sehen. Ein kostbar geschnitztes Prunkbett - es zählt zu den ältesten Renaissancebetten Deutschlands - wurde in jahrhundertelanger Legendenbildung ebenso Jan van Leiden zugeschrieben wie ein Spiel- und Zahltisch oder eine eiserne Rüstung. Von Legenden umrankt ist auch der Pantoffel der Elisabeth Wandscherer, jener unglücklichen und "ungehorsamen" Frau, die der Gatte Jan van Leiden eigenhändig köpfte.
"Wiedertäufer"-Schokolade und Karnevalsorden
Auseinandersetzung mit Geschichte spiegelt sich auch in Büchern und Handschriften, im Stadtbild und im Kunstgewerbe. So zieren Konterfeis der führenden Täufer dekorative Teller, Ofenkacheln, Orden einer Karnevalsgesellschaft und Notgeld. Selbst eine Schokolade - Marke Milchnuss - wirbt mit dem Schwertführer Knipperdollinck. Spätestens seit dem 20. Jahrhundert sind auch die drei Käfige am Kirchturm von Lamberti - in ihnen wurden die Täuferleichen zur Abschreckung ausgestellt - wirksame Werbeträger für die Stadt. Repliken sind im Stadtmuseum ausgestellt.
Aus dem Jahr 2000: Hrdlicka zeichnet "Tanz vor dem König"
Faszination auf der einen, Abscheu auf der anderen Seite sorgten dafür, dass die "Wiedertäufer" bis heute Thema sind und auch Schriftsteller, Künstler, Literaten und Musiker zur Auseinandersetzung inspirieren. Lithografien, Opernbücher, Theaterhefte, Filmwerke, CDs und Jahresblätter - auch sie stehen in der Ausstellung für das Nachwirken der Ereignisse bis heute. Und so endet die Ausstellung "Das Königreich der Täufer" folgerichtig im 21. Jahrhundert mit einer farbig lavierten Kohlezeichnung des Wiener Künstlers Alfred Hrdlicka. "Bernhard Knipperdollinck tanzt vor König Jan van Leiden" nennt der Maler und Bildhauer sein Blatt - es ist datiert aus dem Jahr 2000. (Katalog, zweibändig, 58 Mark)