29.06.2000

Tonfiguren für Spiel und Andacht im mittelalterlichen Münster

Stadtmuseum zeigt Grabungsfunde / "Massenware" aus der Werkstatt des Bilderbäckers

(SMS) Mit drei mittelalterlichen Tonfiguren setzt das Stadtmuseum seine Präsentationen von Grabungsfunden fort. Eine Vitrine mit Puppe, Madonna und Jesuskind gibt ab Freitag, 30. Juni, einen Monat lang Einblick in münstersches Alltagsleben am Ende des Mittelalters. Titel: "Für Spiel und Andacht".

Die drei kleinen Figuren kamen bei der archäologischen Grabung der Stadt 1999/2000 an der Lotharinger Straße ans Tageslicht. Zwei Keramikfiguren wurden aus der Verfüllung eines im Hochmittelalter angelegten Brunnens geborgen, die dritte befand sich in ehemaligem Gartenland nahe des Brunnens.

Die älteste Figur ist eine "Kruseler-Puppe". Sie trägt ihren Namen nach dem rüschenbesetzten Kopfputz, der bis auf die Schultern herabfällt. Gesicht und Kleid sind sparsam angedeutet, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Der Unterleib der Puppe ist nicht erhalten. Die Kruseler-Tracht war in Deutschland eine Erscheinung der eleganten Damenmode seit der Mitte des 14. Jahrhunderts. Adelige Damen gaben das Vorbild für die Puppe ab, die als Kinderspielzeug diente. Mädchen und Jungen konnten so die Welt der Erwachsenen nachstellen und erfahren.

Das zweite Objekt stellt Maria mit dem Jesuskind dar. Das Figurenpaar vom Ende des 15. Jahrhunderts, dessen Köpfe verlorengegangen sind, zeigt spätgotische Elemente: Die Madonna, eingehüllt in einen weiten, reich gefältelten Mantel, trägt das Jesuskind auf dem linken Arm, mit der rechten Hand bietet sie ihm einen Apfel an. Die Muttergottes steht auf einer Mondsichel, die ein Gesicht trägt - ein Hinweis auf das "apokalyptische Weib" aus der Offenbarung des Johannes (Apk. 12, 1-6). Dieser Madonnentyp war im Spätmittelalter weit verbreitet. Die Statuette dürfte als privates Andachtsbild gedient haben, vielleicht eingestellt in einen Hausaltar.

Der dritte Fund - ebenfalls aus dem Ende des 15. Jahrhunderts - ist ein nackter Jesusknabe. O-Beine, dicker Bauch, Speckfalten an den Oberschenkeln und die rundliche Gesichtsform geben ihm babyhafte Züge. Zugleich ist er durch die Kugel mit Kreuzaufsatz - den Reichsapfel - in der linken Hand als Weltenherrscher charakterisiert. Solche im Spätmittelalter äußerst beliebten Figuren wurden als Neujahrsgrüße und Glücksbringer verschenkt.

Alle drei Objekte sind Serienprodukte aus der Werkstatt sogenannter Bilderbäcker. Diese formten feuchten Ton in Modeln aus und brannten ("backten") ihn im Brennofen. Ihre Figuren wurden als "Massenware" auf Märkten für wenig Geld feilgeboten.