Individuelle Koordinaten der Stille
Ugo Rondinone greift in seinen Rauminstallationen auf ein wiedererkennbares Vokabular zurück, das er in Details variiert. "A waterlike still" am Hafen in Münster ist eine Variation von "a snowlike still" (2003). Requisiten eines Clowns, eine Sound-Blackbox und ein Aluminiumabguss einer "moonrise"-Maske finden sich neben einer Neuauflage seiner überdimensionalen Glühbirne - mit dem neuen Titel "the eighth hour of the poem". Die gelben Sichtschächte, die den Blick auf den Hafen verklären und eine neue Schneemaschine hat Rondinone eigens für die Ausstellung in Münster anfertigen lassen.
Der Versuch einer Deutung
Man sucht beim ersten Betreten der Ausstellungshalle, in der Ugo Rondinone seine "Koordinaten" installiert hat, vergeblich nach räumlicher und zeitlicher Orientierung. Eine eigentümliche Atmosphäre, fast irreal wie ein Traum, durchdrungen von einer unbestimmbar leisen, jedoch eindringlichen Stimmung erwartet den Besucher. Rätselhaft und zugleich anziehend.
Die Besucher begegnen einem Sammelsurium von Eindrücken, die auf den ersten Blick keinen sinnvollen Zusammenhang ergeben. Der Blick schweift umher, schwebt durch dem Raum, bis er plötzlich gefangen wird. Festgehalten durch ein Objekt oder ein Moment von vertrauter Erkennbarkeit, um im nächsten Augenblick durch das Gefühl einer beunruhigenden Befremdung wiederum abgestoßen zu werden.
Die multimediale Installation erzeugt Fremdes und zugleich banal Vertrautes, die wie Gegenpole um einander kreisen, sich beständig anziehen und abstoßen, stets um die Bedeutung von Zusammengehörigkeit ringend. Die motivierende Kraft von Rondinones Kunst ist, zu zeigen, wie man aus dem irreal erscheinenden Unsinn einen Sinn herauslesen kann. Es interessiert ihn aber auch die Umkehrung dieser Fragestellung: Wo liegt im Vertrauten die Rätselhaftigkeit, die wir benötigen, um die Banalität des Alltags zu ertragen? Ugo Rondinone ist ein Romantiker, der nach poetischen Inseln sucht, um eine Landung in der Realität zu ermöglichen.
Die Einheit von Verklärung und Aufklärung
Verklärung und Aufklärung gehen im Werk dieses poetischen Realisten eine untrennbare Verbindung ein. Ugo Rondinone zeigt, wo das Reale im Traum und das Traumhafte in der Wirklichkeit verborgen ist. Die Arbeiten des Schweizer Künstlers führen die Wahrnehmung des Betrachters auf verschlungenen Erkenntnispfaden: Es ist ein Weg, der eine verblüffende Ähnlichkeit hat mit literarischen Positionen des Absurden Theaters - banal, doch zugleich bedrückend.
Wie häufig in seinen installativen Projekten, begreift Rondinone auch in Münster den vorgefundenen Ausstellungsraum als Bühne. Die verwandelten Sichtschächte auf den Dortmund-Emskanal verorten die Requisiten in der räumlichen und zeitlichen Realität. Rondinones Arbeiten haftet eine seltsame Emotionalität an, seine dramaturgischen Eingriffe machen auf die Manipulationen aufmerksam, denen unsere Gefühle ausgesetzt sind.
Leise und vorsichtig bringt er seine Stimme mit derjenigen des Raumes in einen Dialog. Es ist eine Stimme, die von "Deins" und "Meins" erzählt. Innere Subjektivität und äußere Rationalität sind darin seltsam miteinander verwoben. Ugo Rondinone erprobt Visionen, versucht sie zu "retten" und ihnen einen Halt zu geben. Dort wo dies nicht gelingt, beklagt er die Vergeblichkeit dieses romantischen Unterfangens. Es ist ein Dialog ohne erkennbaren Anfang, ohne Ende. Momente von deutlicher Verständlichkeit treten hervor, um im nächsten Augenblick in einem rätselhaften Ringen um Bedeutung zu versinken.
zero built a nest …
Ein riesiges "O", plakativ wie ein ausgeschnittener Buchstabe aus einer historischen Typographie, fällt sofort auf. Das überlebensgroße "0" ist der Eingang zur Black-Box, aus der das "Beziehungs-Kisten-Loop" ertönt. Ist dies eine Null, die ein absolutes Ende bedeutet oder ein Kreis, der auf das Umfassende abzielt? Ist es ein anachronistisches Beziehungsdrama, das sich hier abspielt? Niemand weiß es so genau. Mit diesem Symbol des Alles und Nichts bringt Rondinone seine ästhetische Dramaturgie ins Rollen.
Die "Null" könnte tatsächlich eine Metapher für die Erkenntnisbewegungen sein, die seine Arbeit antreibt. Wie das Leben um sich selber kreist, um Erkenntnis zu erlangen, entfaltet sich in immer gleichen Bewegungen ein pathetisch witziger Dialog zwischen einem Mann und einer Frau. Der Rollentausch verändert die Perspektive, löst aber nicht das absurde Spiel, das die beiden miteinander treiben.
Rondinone installiert für die Ausstellungshalle in Münster einen farbigen Sichtschacht, durch den der Blick auf den Hafen verfremdet wird, und damit zum Teil dieses subtilen Spiels, das Rondinone mit dem Ort treibt. Die Ambivalenz von Innenraum und Außenwelt - ein Motiv, das vielleicht am besten die Bipolarität seiner ästhetischen Reflektion widerspiegelt, ist möglicherweise der neue Anknüpfungspunkt an eine Geschichte, die der Besucher selbst weiter schreiben soll.
Ugo Rondinone: a waterlike still. Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster, Hafenweg 28. 6. Mai bis 18. Juni, Eröffnung: 5. Mai, 19.30 Uhr. Öffnungszeiten: Di – Fr 14 – 19 Uhr, Sa / So 12 – 18 Uhr
Text: Dr. Gail B. Kirkpatrick (Leiterin der Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster) und Verena Voigt (PR & KulturKommunikation)
Bildtext: Teilansicht von "a waterlike still" . Im Vordergund sorgt eine Schneemaschine für Romantik, im Hintergrund verklärt die Fensterfront den Blick auf den Hafen.
Bildtext: Die "moonrise"-Maske ist eine Requisit der Installation "a waterlike still" von Ugo Rondinone.
Bildtext: "The eigth hour of the poem". Die Glühbirne, eine weitere Koordinate der aktuellen Arbeit in der städtischen Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster.
Fotos: Presseamt Stadt Münster. Veröffentlichung honorarfrei.