Die Chronikmappen im Stadtarchiv Münster
Die Kriegschronik zur Geschichte der Stadt Münster während des Zweiten Weltkrieges wird im Stadtarchiv Münster im Bestand Stadtgeschichtliche Dokumentation aufbewahrt. Es handelt sich um während der Kriegsjahre 1939-1944 erstellte umfangreiche Aufzeichnungen, verbunden mit einer Fotodokumentation, die als Vorbereitung für eine nach dem Krieg zu publizierende "Kriegschronik" erstellt wurden.
Die Kriegschronik stellt für die Erforschung des Alltags der Stadt Münster während der Zeit des Zweiten Weltkrieges eine einzigartige Quelle dar, sie ist jedoch stets mit der nötigen kritischen Distanz zu betrachten, da sie die von der nationalsozialistischen Stadtführung gewünschte Sichtweise der Ereignisse im städtischen Umfeld wieder gibt und sämtliche Informationen unter dem Aspekt der Parteilichkeit aufgenommen und wiedergegeben werden.
Mitarbeiterin bei der Beschriftung der Fotos in der Kriegschronik, Juni 1943.
Zunächst führte Dr. Eduard Schulte, Stadtarchivar seit 1913, und dann ab März 1940 Dr. Franz Wiemers im Auftrag der Stadtverwaltung teilweise tageweise maschinenschriftliche Aufzeichnungen und ergänzte diese durch Fotos, die vereinzelt mit sehr umfangreichen handschriftlichen Kommentaren versehen wurden. Die maschinenschriftlichen Aufzeichnungen sind wie die Bildkommentare zunächst stenographisch von Dr. Wiemers zu Papier gebracht worden, ehe sie von verschiedenen Schreiberinnen bzw. Schreibern in Reinschrift übertragen wurden. Im Falle seiner kriegs-, urlaubs- oder krankheitsbedingten Abwesenheit führten zwei angestellte Schreibkräfte im Stadtarchiv die Aufzeichnungen weiter.
Eine Besonderheit dieser Sammlung liegt in der großen Zahl von über 8.500 Fotos, die wohl ausschließlich auf Wiemers selbst zurückgehen. Diese Fotosammlung der Kriegschronik verbunden mit den dazugehörigen handschriftlichen Kommentaren liegt im Stadtarchiv als eine digitalisierte Text-Bild-Datei vor, und kann zu Recherchezwecken genutzt werden. Diese Quelle ergänzt bisherige Arbeiten speziell zur Alltagsgeschichte Münsters zwischen 1940-1944.
Mitarbeiterin von Dr. Franz Wiemers bei der Abschrift von Chroniknotizen, Juni 1943.
Die Chronik selbst ist monatsweise geführt. Die Sammlungen zu den einzelnen Monaten variieren erheblich. Nachträglich miteingebunden wurden sehr vereinzelt Presseartikel, Feldpostbriefe und -karten, Karikaturen, Einladungen zu kulturellen Veranstaltungen, ganze Broschüren, Flugblätter von NS-Stellen sowie unbeschriebene Propagandapostkarten.
Die maschinenschriftlichen Anmerkungen folgen formal immer dem gleichen Schema: Wiemers zitiert zunächst die zentralen Schlagzeilen der lokalen Presse; dem folgen Angaben zur Wetter- und Luftlage. Es schließen sich eigene Beobachtungen und Wahrnehmungen über Münster und Umgebung an, in die er teilweise Gespräche, Gerüchte und Anmerkungen zu den verschiedensten Inhalten, häufig zur Entwicklung der Kriegslage und zur konkreten Situation vor Ort einfließen lässt. Gerade ab den Jahren 1943/44 liegt der Schwerpunkt auf den stark zunehmenden Angriffe der englischen Luftstreitkräfte, die Reaktion der Bevölkerung darauf und die sich zuspitzende Ernährungslage in der Stadt.
Die Fotos wie die Texte beleuchten die Auslagen in den Schaufenstern verschiedener Geschäfte, die militärischen Paraden, verschiedene Aktionen der nationalsozialistischen Verbände, dokumentieren die zahlreichen Bombenzerstörungen in der Stadt, zeigen die Evakuierung von Kindern und Bombengeschädigten ebenso wie die während eines Luftangriffes im Bunker wartenden Münsteraner. Vielfach gibt Dr. Wiemers Impressionen aus den Straßen Münsters und verknüpft diese mit stadthistorischen Rückblicken. Dies zeigt wie eng diese Foto- und Textsammlung biographisch mit der Person Franz Wiemers verknüpft ist. Ein sehr großer Teil der Bilder, vielleicht sogar die Mehrheit, entstand bei Spaziergängen und Ausflügen mit der Familie. Die etwa 500-600 Fotos umfassende Dokumentation zur Kinderlandverschickung entspringt der Tatsache, dass auch Wiemers Kinder von Münster nach Bayern evakuiert wurden und er sie besuchte. So sehr die Fotos und Texte den Alltag der Stadt Münster auch spiegeln, so ist es doch der Alltag durch die Augen eines nationalsozialistischen Chronisten.
Der Stadtarchivar Dr. Eduard Schulte begann bereits im August 1939 mit den ersten Ausführungen für eine Kriegschronik. Als er im Januar 1940 für die Vorbereitungen der 300-Jahr Feier des Westfälischen Friedens 1948 freigestellt wurde, trat Dr. Franz Wiemers an seine Stelle. Ab April 1940 führte dieser die Bild-Text-Dokumentation der Ereignisse in der Stadt Münster während des Zweiten Weltkrieges. Als Vertreter der nationalsozialistischen Überzeugungen, die Dr. Wiemers in zahlreichen sehr eindeutigen Äußerungen in der Chronik äußerte, führte er die Sammlung mit großem persönlichem Einsatz bis zu seiner kriegsbedingten Versetzung im August 1944. Danach brachen die Aufzeichnungen ab.
Dr. Franz Wiemers kurz vor Abbruch der Arbeiten an der Kriegschronik, Juli 1944.
Eine gewisse Einheitlichkeit bei der Führung kommunaler Chroniken verlangte ein Runderlass des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren, Dr. Wilhelm Frick, vom 31. Oktober 1936, um "auch späteren Geschlechtern Arbeit und Mühen, Erfolg und Sorgen der Gemeinde und ihrer Bürger zu überliefern." Alle für die Gemeinde zentralen Ereignisse sollen hier ihren Niederschlag finden (Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung, Berlin 1936, S. 1497). Aber schon dieser Runderlass nur als eine Soll-Vorschrift gelten kann, ist die Materialsammlung für die geplante "Kriegschronik" das Ergebnis des Willens der nationalsozialistischen Stadtführung, so dass dieser Quelle mit der für die NS-Zeit gebotenen kritischen Distanz begegnet werden muss. Eine grundsätzlich positive Darstellung des von der Stadtverwaltung angeregten oder beaufsichtigten städtischen Lebens und der damit verbundenen Aktivitäten der NSDAP ist die Folge. Schon die Auswahl dessen, was als wichtig und damit als chronikwürdig galt, lässt eine deutliche Parteinahme erkennen. Die Materialsammlung erwähnt zum Beispiel mit keinem Wort die Deportation der jüdischen Mitbürger, die Invasion der Alliierten in der Normandie oder die sich abzeichnende militärische Niederlage gerade ab 1942. Wiemers dokumentierte den Jubel der Bevölkerung über die militärischen Erfolge, das Entsetzen und Erschrecken überging er fast vollständig.
Trotzdem ist der Quellenwert der Vorarbeiten für eine Kriegschronik der Stadt Münster sehr hoch einzuschätzen, da die hand- und maschinenschriftlichen Eintragungen und Aufzeichnungen zeitlich sehr nahe am Geschehen liegen und daher von einem hohen Maß an Authentizität ausgegangen werden kann, auch wenn man die politische und ideologische Prägung des Chronisten Wiemers bei der Bewertung unbedingt mit in Rechnung stellen muss.
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