In einer Grube aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts unmittelbar nördlich des Klarissenklosters fanden sich drei Bruchstücke einer kreisrunden, reliefverzierten Gebäckform aus heller Irdenware, so genanntem Pfeifenton. Das nicht vollständig erhaltenen Model gehört sicher zu den besonderen Funden der Grabung. Es zeigt auf der Dekorseite – tief in die Oberfläche eingeschnitten – fünf Szenen aus dem neuen Testament, die wörtliche Zitate aus dem Matthäus-Evangelium der lateinischen Vulgata-Bibel enthalten. Die Textauszüge sind stark verkürzt, damit sie auf den Schriftbändern Platz fanden, die die Bilddarstellungen begleiten.
Die Szenen sind spiralförmig im Uhrzeigersinn angeordnet: Mittig ist der Tempel von Jerusalem als viereckiger, turmartiger Bau abgebildet. Links, oberhalb und rechts des Tempels wird die dreimalige Versuchung Jesu durch den Teufel gezeigt (Matthäus 4, 3-10). Innerhalb des Tempels unter dem linken Bogen findet die Heilung der Kranken statt (Matthäus 4, 23). Unten, vor dem rechten Bogen, vertreibt Jesus die Händler und Geldwechsler (Matthäus 21, 12-13).
Jesus wird als bärtiger Mann mit Heiligenschein und knöchellangem Gewand dargestellt. Seine rechte Hand zeigt mit erhobenen Daumen, Zeige- und Mittelfinger den mittelalterlichen Gestus der segnenden Hand. Der Teufel ist zu erkennen an den Ziegenhörnern, den pelzigen, spitzen Ohren, einem wadenlangen Gewand und raubvogelartigen Klauen statt Händen und Füßen.
Auf der linken Seite ist die erste Versuchung in der Wüste dargestellt. Der Teufel deutet mit seiner linken Klaue auf einige Steine, die vor Jesus liegen und fordert ihn nach dessen vierzigtägigem Fasten heraus: "Wenn Du Gottes Sohn bist, sag, dass diese Steine Brot werden." ([si] fili[us] dei es dic ut lapides isti panes [fiant]). Jesus antwortet: "Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein." (scriptu[m] est no[n] in solo pane vivet ho[mo]). Die beiden Zitate stehen in den Schriftbändern unterhalb und oberhalb der Protagonisten.
Anschließend führt der Teufel Jesus zur zweiten Versuchung auf die oberste Zinne des Tempels. Auf dem Dach des Tempels deutet der Teufel mit der linken Klaue in den Abgrund und fordert Jesus auf: "Wenn du Gottes Sohn bist, stürz dich hinab." (si fil[ius] dei es mitte te deorsu[m]). Jesus entgegnet: "Es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen." (scrip[tum] est no[n] [te]mpta[bis] domi[num] deu[m] tuu[m]).Die zugehörigen Bänder mit den Zitaten finden sich rechts und links oberhalb der Sprechenden.
Die dritte Versuchung findet auf einem sehr hohen Berg statt. Jesus und der Teufel stehen – rechts des Tempels – am Rand einer Klippe. Der Teufel deutet mit der rechten Kralle in das Tal und zeigt Jesus die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit. Die Reiche werden links und rechts der Szene mit der zweiten Versuchung durch zwei Städte mit Stadtmauern und Türmen auf Bergkuppen symbolisiert. Der Teufel sagt zu Jesus: "Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest." (h[a]ec o[mn]ia tibi dab[o] si cade[n]s adora[veris] me). Jesus antwortet: "Weiche zurück, Satan! Es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten." (vade satana[s] scriptu[m] est dom[inum] deu[m tuum adorabis]). Die Spruchbänder mit den Zitaten sind rechts und oberhalb der Szene angebracht.
Die nächste Szene kommt ohne Schriftbänder aus. Auch im Evangelium wird zu ihr keine wörtliche Rede überliefert. Innerhalb des Tempels, unter dem linken Bogen, steht Jesus auf der rechten Seite. Seine rechte Hand ist zum Segen erhoben, vor ihm knien zwei Personen. Gezeigt wird hier die Heilung der Kranken in Galiläa. Im Hintergrund ist ein Altar zu sehen, auf dem ein christliches Kreuz und zwei Leuchter stehen.
Die fünfte Szene ist auf dem Modelfragment von der Stubengasse nur zu einem geringen Teil erhalten. Hier gelingt die Rekonstruktion aber durch ein fast identisches Bruchstück einer Gebäckform aus Ahaus, das den Bildinhalt der fehlenden Szene absichert.
Jesus steht vor dem rechten Bogen des Tempels, seine rechte Hand ist wieder erhoben. Mit der linken Hand stößt er zwei Geldwechsler nach rechts aus dem Tempel, sie fallen über ihre Tische, auf denen Geldstücke liegen. Links liegt ein Händler neben einem Kasten am Boden. Das Spruchband windet sich um den Bogen hinter Jesus herum: "Mein Haus soll Bethaus genannt werden. Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht." ([domus mea] domus orationis [vocabitur. vos autem facitis eam spelun-cam latronum]).
Die Bildmotive sind in ihrer Gestaltung nicht an grafischen Vorbildern orientiert. Der Stempelschneider oder Goldschmied, der die Grundform für dieses Model angefertigt hat, arbeitete wohl nach eigenen Entwürfen. Die Gebäckform von der Stubengasse, die zwischen 1500 und 1520 im Mittelrheingebiet entstanden ist, misst gerade einmal 10 cm im Durchmesser. Sie wurde von einem steinernen oder metallenen Original abgenommen, das die Bilddarstellungen im positiven Relief zeigt.
Das Fragment aus Ahaus zeigt identische Abbildungen und ist im Durchmesser kleiner als das Model von der Stubengasse. Da eine Form beim Brennen im Töpferofen immer etwas kleiner wird, lässt sich einiges über das Verhältnis der beiden Stücke feststellen: Das Ahauser Stück kann nicht vom ursprünglichen Original abgenommen sein, sondern von einer Form, die von einem bereits benutzten Oblatenmodel wieder gewonnen wurde. Da also mehr Brandprozesse zwischen dem Ahauser Stück und dem Original liegen, als zwischen dem Original und dem Fund von der Stubengasse, ist es auch kleiner.
Die Model wurden meist an Festtagen benutzt, um Gebäck, manchmal auch Marzipan herzustellen, daher finden sich darauf auch zumeist christliche Motive. Formen aus porösem Ton eigneten sich dazu besser als Formen aus Holz oder Metall, da der Teig aus ihnen leichter zu lösen war. Es wird davon ausgegangen, dass diese Gebäckformen über wiegend in Klöstern verwendet wurden. Da sich das Model der Stubengasse auf einer Parzelle knapp außerhalb des Klosters fand, ist eine Nutzung solcher Formen wohl auch im privaten Bereich denkbar.
Interessant ist die konkrete Fundsituation der Modelfragmente. Ein Fragment kam unter dem 1,70 m hohen Holzstapel eines abgebrochenen Fachwerkhauses zum Vorschein, die beiden anderen Stücke lagen ordentlich obenauf. Wer hat sie dorthin gelegt? Und warum hat er sie mit dem Holzstapel vergraben? Dies wird wohl ein Rätsel bleiben.