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Zwei Vereine — ein Ziel

Marie mit Necla Eskioglu (Foto: Ingrid Fisch) „Der Spracherwerb spielt eine zentrale Rolle bei der Integration“, findet Dr. Ömar Lütfi Yavuz. Er ist Vorstandsmitglied beim Arbeitskreis International (AKI) und beim Türkischen Arbeiter- und Studentenverein Münster. Beide Vereine nutzen dieselben Räumlichkeiten in der Hafenstraße 6 und haben auch sonst viele Gemeinsamkeiten. Dr. Yavuz beantwortete die vielen Fragen, die Marie, Nahid und Sara ihm stellten. Ein fester Bestandteil der AKI-Vereinsarbeit ist das Internationale Frauenfrühstück. Hier trafen sich die drei Mädchen mit drei türkischen Frauen, die ihnen aus ihrem Leben erzählten.

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Interview mit Dr. Ömer Lütfi Yavuz

„Zurzeit ist es Mode, uns Menschen mit Migrationsvorgeschichte zu nennen. Ich witzle immer: Migrationsvorbelastung, oder Migrationsdauerbelastung. Die Politiker finden immer einen Namen. Schluss damit. Ich bin Türke“, sagt der Vorsitzende des Türkischen Arbeiter- und Studentenvereins und des Arbeitskreis International. Das Gespräch am Mittwoch, 21. Mai 2008 führten: Marie, Nahid und Sara vom Geschwister-Scholl-Gymnasium.

O-Ton: Über die Begriffe „Gastarbeiter” und „Migrationsvorgeschichte” (1:39)

Nahid, Sara und Marie (v.l.) im Gespräch mit Dr. Ömer Lütfi Yavuz (Foto: Ingrid Fisch) Dr. Yavuz, würden Sie uns bitte Ihren vollen Namen nennen?
Ich habe zwei Vornamen: Ömer und dann Lütfü oder Lütfi: Das Geburtsregister in meinem Heimatort ist verbrannt, als ich in der Mittelschule war. Dann kam es durch einen Schreibfehler des Beamten zu der Schreibform Lütfü. So steht es heute auch in meinem deutschen Pass. Aber eigentlich heiße ich Lütfi.

Woher stammen Sie in der Türkei?
Ich komme aus Trabzon, einer Stadt im Nordosten der Türkei am Schwarzen Meer. Sie hat — so schätze ich — etwa 300.000 Einwohner. Seit fast 30 Jahren bin ich allerdings schon in Deutschland.

Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Tja, das ist eine gute Frage! Ich habe in der Türkei studiert. Von Beruf bin ich auch Diplom-Ingenieur. Und als ich fertig war, wollte ich als Tourist nur für drei Monate nach Deutschland kommen. Ich wollte Europa besuchen. Meine Eltern lebten in Hamm, mein Vater war ein so genannter Gastarbeiter. Damals. Diese drei Monate sind mittlerweile fast 30 Jahre. Ich habe mit einem Sprachkurs angefangen und die deutsche Sprache hat mir Spaß gemacht. Dann habe ich erfahren, dass es in der Nähe eine Universität gibt, in Münster, und dass dort viele türkische Studierende studieren. Da habe ich den Kontakt hergestellt und habe hier Chemie-Diplom studiert und promoviert. Mein Diplom an der Technischen Universität Karadeniz in der Türkei wurde mir als Vordiplom anerkannt. Damals war ich 22 Jahre alt.

Wie haben Sie Ihre Frau kennen gelernt?
Meine heutige Frau hat an der Universität Münster Lebensmittelchemie studiert. Sie war ein hübsches Mädchen.

Welche Aufgaben erfüllen Sie im Türkischen Arbeiter- und Studenten-Verein und im Arbeitskreis International (AKI)?
Ich bin in beiden Vereinen Vorstandsmitglied, d.h. wir organisieren sämtliche Aktivitäten. Es sind zwar zwei verschiedene Vereine, doch es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten. Der Türkische Arbeiter und Studenten Verein wurde 1969 gegründet und der AKI 1972. Wir organisieren zum Beispiel zusammen Deutschkurse und Nachhilfe, machen gemeinsame Ausflüge, bieten ein Frauenfrühstück, Diskussionsabende und Folklore-Veranstaltungen an. Außerdem feiern wir Ramadan genauso wie Ostern oder Weihnachten. Kurz: Beide Vereine fördern das Zusammenleben.

Dr. Ömer Lütfi Yavuz zeigt Marie, Nahid und Sara (v.l.) die Bibliothek des AKI (Foto: Ingrid Fisch) Wer ist in den Vereinen außerdem noch aktiv?
Das ist ganz unterschiedlich. Bei uns engagieren sich ehrenamtlich Hausfrauen, Studierende, ehemalige Lehrerinnen und Lehrer. Die Teilnehmer beispielsweise des Deutschkurses kommen von überall her: Aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei der ehemaligen Sowjetunion, Bangladesch, Irak, Palästina, Afrika. Es gab aber auch im vergangenen Semester Leute aus China Lateinamerika und Indonesien. Unseren Nachhilfeunterricht nutzen übrigens auch deutsche Schüler. Es gibt nichts speziell für Türken. Derzeit nehmen an einem Computerkurs nur türkische Frauen teil. Doch das ist ein Zufall. Es könnte auch anders sein. Wir organisieren oft auch Veranstaltungen, wie die interkulturelle Woche mit dem Ausländerbeirat.

Sie haben den Sprachkurs an erster Stelle genannt. Ist dies ein Schlüssel zur Integration?
Der Spracherwerb hat eine zentrale Bedeutung für die Integration. Wir legen großen Wert auf die Qualität. Wir werden vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband und dem Sozialpädagogisches Bildungswerk (Sobi) unterstützt. Zwei pensionierte Lehrerinnen arbeiten zudem komplett ehrenamtlich und einige Studierende unterrichten für eine geringe Aufwandsentschädigung. 468 Unterrichtsstunden, das sind 20 Wochenstunden, können wir deshalb übrigens für 70 Euro anbieten. Trotzdem können sich einige die Kursgebühr nicht leisten. Doch es soll nicht am Geld scheitern. Für uns ist es wichtig, dass jemand bereit ist, die Sprache zu lernen.

Warum sind Sie im Verein aktiv?
Ich wollte immer etwas im sozialen Bereich tun und war bereits in der Türkei engagiert. Ich habe von dem Verein zu Beginn meines Studiums erfahren. Am Anfang hat man mir geholfen und ich habe mich dann später selbst engagiert.

Vermissen Sie etwas in Münster?
Ich bin ja in der Türkei geboren und groß geworden. Ich habe alle Verwandten und Freunde verlassen. Doch ich muss auch einräumen, dass ich nach dem Studium für zwei Jahre zurück in die Türkei gegangen bin und dort habe ich alle Freunde und Bekannten aus Münster vermisst. Immerhin lebte ich damals schon gut zwölf Jahre in Münster. Alle meine Freunde, sogar meine Familie lebte hier.

Unser Thema heißt ja Gastarbeiter, können Sie uns etwas darüber erzählen?
Meine Mutter war Hausfrau und mein Vater war ein Kokereiarbeiter, er hat also dort gearbeitet, wo Kohle verarbeitet wird. In Hamm gibt es ja Zechen. Mein Vater gehört zu der ersten Generation der Gastarbeiter. Er ist 1964 zunächst für zwei Jahre nach Bielefeld gegangen und ist dann zurück in die Türkei gegangen — wie er dachte — für immer. Doch dann brach er erneut nach Deutschland, nach Hamm, auf. Er hat anschließend meine Mutter und meine Geschwister nachgeholt. Ich musste damals in der Türkei bleiben, weil ich zu der Zeit das Gymnasium besuchte, und ich sollte meine Schule dort beenden.

Was wissen Sie über die Geschichte der Arbeitsmigration?
Die Politiker haben nach dem Zweiten Weltkrieg Menschen angeworben, um hier zu arbeiten. Und die Politiker haben sie Gastarbeiter genannt. Ich spreche für die türkischen Landsleute: Ursprünglich wollten sie nach Deutschland kommen, um hier einige Jahre zu arbeiten. Ich habe dies bei meiner Familie selbst erlebt. Mein Vater — ich war damals in der vierten Klasse der Grundschule — wollte für kurze Zeit in Deutschland arbeiten und viel Geld verdienen, um unser Restaurant zu erweitern. Ähnliche Ziele hatten auch die anderen Gastarbeiter. Nur ein paar Jahre arbeiten und dann zurückkehren. Drei Jahre, vier Jahre usw. Aber mit der Zeit haben die Gastarbeiter diese Rückkehr immer wieder verschoben. „Ich bleibe noch ein Jahr. Und noch ein Jahr“, hieß es. Die Gastarbeiter waren bereit, die schwierigste und schmutzigste Arbeit auf sich zu nehmen. Nach der Devise: „Ich mache alles, Hauptsache es bringt Geld.“ Sie haben viele Überstunden geleistet und haben am sozialen Leben so gut wie gar nicht teilgenommen.

Die Tendenz, dass die Gastarbeiter in Deutschland bleiben, ist erst Mitte der 1980er Jahre deutlicher geworden worden. Es gab eine politische Wende, denn man hat eine Rückkehrprämie geboten. Die Entscheidung zur Rückkehr sollte attraktiver gestaltet werden. Doch nur etwa 60.000 Türken haben davon Gebrauch gemacht. Zusammen mit den Familienangehörigen waren es fast 300.000. Bis dahin gab es keine nachhaltige Integrationspolitik.

Was sind die Probleme?
In der zweiten Hälfte der 50er Jahre gab es einen Mangel an Arbeitskräften in Deutschland. Italiener, Polen, Griechen, Jugoslawen und dann irgendwann die Türken wurden ins Land eingeladen. Man brauchte Arbeitskräfte. Damals wurden immer die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Türken in den Vordergrund gestellt. Das Zusammenleben wurde gefördert. Also in den guten Zeiten. Doch als die Wirtschaft Schwierigkeiten hatte, wurde ein Sündenbock gesucht. Das waren die Ausländer. Die Türken. Dann wurden z.B. die Türkenwitze erzählt.

Welche Integrationsschwierigkeiten gibt es?
Auch unter Türken gibt es Unterschiede. In der Türkei gibt es eine innere Migration. Die Menschen von den Dörfern wandern in die Städte, und sie haben dort auch Schwierigkeiten. Und darüber hinaus sind die Leute in eine ganz andere kulturelle Umgebung gekommen, mit einer anderen Religion und Sprache. Doch der Kern dieser Schwierigkeiten ist meiner Meinung nach, wo man bislang gelebt hat.

Was macht ihr Vater heute?
Mein Vater ist pensioniert und lebt heute in der Türkei. Es gibt viele, die nach ihrer Pensionierung in die Türkei zurückgekehrt sind. Als er pensioniert wurde, sagte er: „Das war es!“ Es gibt aber auch welche, die sagen: Ja, ich möchte in die Türkei zurückkehren, aber was soll ich da machen? Alle meine Verwandten, Freunde, Kinder, Enkelkinder sind hier. Sie machen es so: Nach dem Gesetz darf ein Ausländer nur sechs Monate bleiben. Sie bleiben dann drei, vier Monate in Deutschland. In der Sommerzeit sind sie in der Türkei. Andere wiederum leben ausschließlich hier.

Ist Gastarbeiter aus heutiger Sicht das richtige Wort?
Ihr meint die Arbeitsmigration? — Gastarbeiter! Menschen mit Migrationshintergrund! Zurzeit ist es Mode uns Menschen mit Migrationsvorgeschichte zu nennen. Ich witzle immer: Migrationsvorbelastung, oder Migrationsdauerbelastung. Die Politiker finden immer einen Namen. Schluss damit. Ich bin Türke. Obwohl ich die deutsche Staatsbürgerschaft habe. Ich bin Ausländer. Das ist nicht schlimm!

Wissen Sie, wo sich die Gastarbeiter aus der Türkei in Münster treffen? Sind die Moscheen in Münster ein Treffpunkt für die Türken?
Es gibt zwei Moscheen, die vor allem von Türken genutzt werden. Am Bremer Platz und an der Bernhard-Ernst-Straße. Vor allem die ältere Generation trifft sich dort. Hier in der Nähe gibt es zudem zwei türkische Kaffeehäuser, eines direkt neben der Moschee, eines in der Soester Straße. Bei der Letzteren treffen sich eher die Jüngeren. Es gibt aber auch viele Dönerbuden, auch da treffen sich die Leute.

Sind die Döner in Münster gut?
Ja, aber sie schmecken ganz anders als in der Türkei. Döner wird in der Türkei täglich in den Restaurants frisch gemacht. Das Wort „Döner“ bedeutet genau wie Gyros: sich um die eigene Achse drehen. In Deutschland gibt es eine richtige Dönerindustrie. Zum Geschmack: Vor zwei Jahren war ich mit meiner Familie in Trabzon. Dort hatte mein Vater ja ein Restaurant und bot mittwochs, also am Markttag, immer frischen Döner an. Döner ist eine Delikatesse und teuer. Ich wollte mit meiner Frau und meinen Kindern in diesem Restaurant Döner essen. Ich hab sehr viel Werbung gemacht: „Hier hat mein Vater gearbeitet!“ Doch meine Frau meinte: Nee, in Deutschland schmeckt der Döner besser. Zuviel Fett. Für mich war der Döner in der Türkei besser.

Fühlen Sie sich als Türke oder als Deutscher?
Ich bin Türke. Ich kann mich nicht anders fühlen. Das bedeutet nicht, dass ich unfähig bin, mich zu integrieren. Ich muss mich erst mal definieren. Dann kann ich mich integrieren. Ich muss die Bräuche, Regeln und die Sprache kennen. Ich erwarte aber auch, dass ich akzeptiert werde.

Fühlen sich Ihre Kinder als Türken oder als Deutsche?
Meine Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Sie werden sagen, sie sind Türken. Ich halte sie aber eher für deutsch. Sie haben viele deutsche Freunde. Schon seit dem Kindergarten. Wenn das Telefon klingelt, rufen Deutsche an.

Fühlen Sie sich in Deutschland zuhause?
Ich lebe seit 30 Jahren in Deutschland. Mein Zuhause ist in Münster. In meiner Geburtsstadt habe ich nicht so lange gelebt.

Wenn Sie jetzt noch einmal die Möglichkeit der Entscheidung hätten: Würden Sie wieder ein Leben in Deutschland wählen? Sind Sie zufrieden in Münster?
Ich bin zufrieden. Nicht in jeder Hinsicht, aber im Großen und Ganzen. Wenn ich in der Türkei geblieben wäre, hätte ich andere Möglichkeiten gehabt. Ich habe aber Vorteile und Nachteile miteinander verglichen.

Hatten Sie als ausländischer Akademiker Nachteile?
Für die zweite Generation sehe ich keine großen Nachteile. Aber ich habe die Nachteile deutlich erlebt. Ich habe mit sehr guten Noten meine Promotion abgeschlossen. Ich habe gut 300 Bewerbungen geschrieben. Jede Bewerbung hat mich Nerven gekostet. Mein Zeugnis war nicht schlechter, wahrscheinlich sogar besser, als das vieler Kommilitonen. Aber ich habe trotz der vielen Bewerbungen keine zehn Einladungen zum Vorstellungsgespräch erhalten.

Solche Schwierigkeiten haben wir immer noch. Ein Deutscher schreibt 10 Bewerbungen, ein Ausländer 20. Denn ich muss auch ein anderes Beispiel geben: Mein Sohn macht eine Ausbildung. Für den Ausbildungsplatz haben sich 20 Deutsche beworben und mein Sohn ist genommen worden. Ich kann nicht akzentfrei Deutsch sprechen, weil ich erst mit 22 Jahren nach Deutschland gekommen bin. Aber die Kinder, die hier geboren wurden, sprechen fließend Deutsch.

Dr. Yavuz, vielen Dank für das Gespräch!

Arbeitskreis International-Homepage:
› www.aki-muenster.de

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