Der Ausländerbeirat gestern und heute
Am 21. April 1985 wählten die Ausländerinnen und Ausländer in Münster zum ersten Mal den Ausländerbeirat der Stadt. Seitdem wird er alle vier Jahre neu gewählt. Mit Spyros Marinos, dem Vorsitzenden des Ausländerbeirates, führte Janis in den Räumen des Ausländerbeirates im Stadthaus 2 am Ludgeriplatz ein ausführliches Interview.
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Der Ausländerbeirat gestern und heute
Die Entstehung des Ausländerbeirates
Bereits in den Jahren 1970 und 1971 wurden mehrere Anhörungen geführt, die sich mit der Situation der Ausländer befassten, Themenschwerpunkt war die berufliche und schulische Situation ausländischer Jugendlicher.
Der direkte Vorläufer des Ausländerbeirates bildete sich im Jahr 1978: Damals brachte erstmals die SPD einen so genannten Ausländerbeirat unter mehrheitlicher Beteiligung von ausländischen Vertretern ins Gespräch. Dies lehnte der Stadtrat ab. Stattdessen wurde eine „Arbeitsgruppe für Angelegenheiten ausländischer Mitbürger“ eingeführt. Dieser gehörten erstmals Vertreter aus Spanien, Portugal, der Türkei, Griechenland, Italien und dem damaligen Jugoslawien an. Berufen wurden die Vertreter auf Vorschlag verschiedener freier Verbände.
Wer darf wählen und wer darf gewählt werden?
Die Arbeitsgemeinschaft „Neuwahlen des Ausländerbeirates“ hatte verschiedene Vorschläge zur Bildung eines Ausländerbeirates ausgearbeitet. Der Antrag der SPD, nach welchem alle ausländischen Mitbürger beteiligt werden sollten, erhielt keine Mehrheit im Rat. Als Ersatz wurde ein Gremium mit Spaniern, Jugoslawen, Portugiesen, Italienern, Griechen, Türken und Vietnamesen geschaffen. Weitere beratende Mitglieder entsandten das Arbeitsamt, die Handwerkskammer, die freien Wohlfahrtsverbände, die Industrie- und Handelskammer und der Deutsche Gewerkschaftsbund. Dieses Gremium sollte unter die Verwaltung des Sozialamtes fallen.
Aus Protest gegen die geringen Befugnisse des Ausländerbeirates traten jedoch 16 der insgesamt 28 Kandidaten kurz vor der Abstimmung zurück. Ein neuer Wahltermin musste festgelegt werden. Am 21. April 1985 wurde schließlich der erste Ausländerbeirat der Stadt Münster gewählt. Seitdem wird er alle vier Jahre neu gewählt.
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Die politische Vertretung der Ausländer in Münster
Spyros Marinos, selbst Grieche, ist seit der Gründung des Ausländerbeirates dessen Vorsitzender. Über diese ehrenamtliche Aufgabe, die großes Engagement verlangt, sprach er mit Janis am 19. Mai 2008.
Herr Marinos, was ist der Ausländerbeirat?
Der Ausländerbeirat ist eine politische Interessenvertretung. Dieses Gremium ist in der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen § 27 verankert und kann zum Beispiel nicht durch einen einfachen Ratsbeschluss aufgelöst werden. Wichtig ist: Wir sind keine soziale Einrichtung. Die individuellen Hilfen, die wir in diesem Bereich leisten, machen wir zusätzlich freiwillig und sie machen einen großen Teil unserer Arbeit aus.
Was heißt das inhaltlich?
Thematisch kann sich der Ausländerbeirat mit allen Themen der Gemeinde befassen. Dies ist jedoch unmöglich. Das Hauptgewicht liegt auf allem, was Menschen mit Zuwanderungsgeschichte betrifft. Besonderes Augenmerk legt der Ausländerbeirat auf die Asyl- und Flüchtlingspolitik sowie die Bereiche Schule, Bildung, Gesundheit und Kultur. Der Ausländerbeirat ist in vielen Fachausschüssen, Kommissionen Konferenzen und Beiräten der Stadt vertreten.
Wie wirkt sich Ihre Arbeit auf die Stadt Münster aus?
Der Ausländerbeirat kann abschließend keine für die Stadt bindenden Beschlüsse fassen, er kann nur Empfehlungen aussprechen. Die Entscheidungen trifft der Rat der Stadt Münster. Dieser ist allerdings verpflichtet, unsere Anregungen zu beraten und darüber zu entscheiden, wobei hierzu der Vertreter des Ausländerbeirats Rederecht hat. „Auf sein Verlangen ist ihm das Wort zu erteilen“, heißt es in den Bestimmungen. Das wissen viele nicht. Bislang fanden wir häufig gutes Gehör beim Rat der Stadt Münster.
War dies schon immer so?
Nein! Zu Beginn hatten wir wenige Möglichkeiten. Vieles haben wir erkämpft, dies geht aus der Geschichte des Ausländerbeirats hervor (mehr über die Entwicklung der Ausländerbeiräte generell in meinem Beitrag „Bericht 99“ der Beauftragten der Bundesregierung zu Ausländerangelegenheiten von 1988). Heute kann sich der Ausländerbeirat zu allen Themen der Stadt äußern. Wir haben dieselben Beratungsfelder wie der Rat der Stadt. Jedoch beschäftigen wir uns natürlich nur mit den Themen, die die Menschen ausländischer Herkunft betreffen. Sonst wäre unsere Arbeit ja gar nicht zu schaffen.
Herr Marinos, wie wird der Ausländerbeirat gewählt?
Der Ausländerbeirat wird nach den Grundsätzen des Kommunalwahlgesetzes gewählt, so wie der Rat der Stadt Münster auch. Stimmberechtigt sind zur Zeit (nach § 27 der Gemeindeordnung NRW) nur Ausländer. Asylsuchende, beziehungsweise Geduldete haben allerdings kein Wahlrecht. Deutsche Staatsangehörige haben passives Wahlrecht.
Durch diese allgemeine Wahl ist der Ausländerbeirat eine echte Vertretung aller Ausländer in der Stadt. Kein anderes Organ kann unmittelbar von der gesamten ausländischen Bevölkerung nach den gesetzlichen Bestimmungen gewählt werden. Deshalb hat auch der Ausländerbeirat einen hohen Legitimationswert.
Wie setzt sich der Ausländerbeirat in Münster zusammen?
Aus 19 Mitgliedern und er ist in seiner Zusammensetzung eine Rarität. Er ist fast der einzige Ausländerbeirat in Nordrhein-Westfalen, der echt und deutlich multikulturell besetzt ist. Es gibt noch einige Beiräte, in denen zwei, drei oder etwas mehr Nationalitäten vertreten sind. Bei uns sind es zur Zeit elf, und es waren schon mal mehr.
Alles andere sind überwiegend monokulturelle Beiräte, d.h. dort dominiert fast ausschließlich eine Nation beziehungsweise ein Kulturkreis. Das meine ich nicht negativ für die dort engagierten Menschen, doch dies entspricht nicht dem Geiste dieser Organe, nämlich der Vielfalt und der Pluralität. Die Gesellschaft sollte sich in den Beiräten in etwa widerspiegeln.
Verantwortlich für diese Situation ist die Landesgesetzgebung, die das Wahlsystem ändern und einen gewissen Minderheitenschutz einbauen sollte. So könnte die absolute „Macht“ einer Nationalität verhindert werden, was dem Dialog sowie dem Sinn und der Funktion der Beiräte förderlich wären. Dies wird in anderen Bundesländern so praktiziert.
Wie vermeidet Münster eine einseitige Besetzung im Ausländerbeirat?
Zum einen hängt das mit der Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung in Münster zusammen und zum anderen liegt es an den Wahllisten. Deshalb gibt es bei uns Vertreter aus fast allen Kontinenten. Aber auch bei uns gibt es Listen mit Vertretern aus überwiegend einer Nation beziehungsweise einem Kulturkreis. Doch diese konnten sich bis jetzt bei den Wahlen nicht behaupten.
Blicken wir in die Geschichte des Ausländerbeirats, dann gab es doch in den Anfängen schon auch Gruppen, die stärker vertreten waren, oder?
Als es noch einen Koordinierungskreis gab, waren diese Vertreter von der Stadt bestellt. Mit dabei waren neben den Wohlfahrtsverbänden die Gastarbeiternationen aus den Anwerberländern wie Italien, Portugal, Spanien, der Türkei, Griechenland, Marokko sowie die vietnamesischen Flüchtlinge (boat-people). Die Einwohnerstruktur war damals ja noch eine etwas andere und die Öffentlichkeit noch weniger präsent. Die Anfänge hatten noch einen stark fürsorglichen Akzent.
Es waren zunächst wirklich die Gastarbeiterorganisationen plus die Vietnamesen. Nach einer Initiative von ausländischen Vereinen, die wir ins Leben gerufen habe, konnten später die vorhin genannten Nationalitäten ihre Vertreter demokratisch selbst wählen, die dann den Vorsitzenden bestimmten. Die ersten allgemeinen Wahlen nach dem kommunalen Wahlgesetz erfolgten nach der Novellierung der Gemeindeordnung NRW im Jahre 1995. Auch bei dieser Konstituierung wurde ich als Vorsitzender gewählt.
Auch seitdem es Wahlen gibt, hat in Münster keine Nation über eine andere dominiert. Von Anfang an war der Ausländerbeirat Münster multikulturell. Seit 1995 müssen Gemeinden mit über 5.000 ausländischen Einwohnern einen Ausländerbeirat – zur Zeit noch der offizielle Name - einrichten.
Ich habe dem Internet entnommen, dass die Wahlbeteiligung nicht sehr hoch ist? Es gibt 15.000 Wahlberechtigte. Es haben aber nur 2.000 abgestimmt. Stimmt das?
Ja, das ist richtig. Das liegt unter anderem daran, dass viele Ausländer mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben. Auch wer die doppelte Staatsbürgerschaft hat, gilt als deutsch und verliert dabei das aktive Wahlrecht.
Des Weiteren besitzen viele Europäer das Kommunalwahlrecht und meinen, dass es nicht mehr nötig ist, auch einen Ausländerbeirat zu wählen.
Schließlich, und am wichtigsten, liegt es am Informationsfluss und an der Öffentlichkeitsarbeit zu den Wahlen und Aufgaben des Ausländerbeirats. Wenn der Rat gewählt wird, heften an jeder Litfasssäule, an jeder Ecke, Plakate, und in den Medien wird permanent berichtet. Wenn der Ausländerbeirat gewählt wird, sieht man kaum etwas. So nehmen viele die Wahlen gar nicht wahr. Man muss mehr tun, um die Menschen zur Wahl einzuladen und ihnen die Bedeutung, die dieses Organ haben kann, zu erklären. Da reicht nicht nur ein Brief.
Zudem unterschätzen viele Leute den Ausländerbeirat. Auch Ausländer. Sie meinen, der Ausländerbeirat hat nichts zu sagen, deshalb bräuchten wir ihn nicht. Doch das ist eine falsche Einschätzung, mehr Aufklärung darüber ist notwendig. Ich kann an dieser Stelle nur wiederholen: Es ist die einzige direkt gewählte Vertretung der Ausländer. Und wir können etwas bewirken, allerdings müssen wir selbst fleißig und sachkundig arbeiten. In unserer Demokratie, brauchen wir aber auch mehr Informationen und eine breite Beteiligung.
Herr Marinos, vielen Dank für das informative Gespräch!
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