Ein erhofftes schnelles Ende des Krieges zeichnet sich auch im dritten Kriegsjahr nicht ab. An die Stelle anfänglicher Kriegseuphorie tritt schnell der Wunsch nach Frieden. Eine strenge Pressezensur erlaubt nur Siegesmeldungen. Der Gedanke des Burgfriedens, also die Aufforderung jegliche innenpolitischen Konflikte zurückzustellen, ließ keine öffentliche politische Auseinandersetzung über den Kriegsverlauf zu.
'Den Silvesterabend 1915/16 in Friede und Freude begehen zu können, war vor einem Jahre die allgemeine Hoffnung gewesen. Nun beim Beginn eines neuen Kriegsjahres wiederholen sich an den Fronten und zwischen ihnen überall die tiefen Wünsche nach Frieden.'
'Feierlich und freudig verkündeten am Abend die Kirchenglocken von allen Türmen der Stadt den bedeutungsvollen Sieg Österreich-Ungarns. Am folgenden Tage fand in den Schulen eine kurze Feier statt, fiel der Schulunterricht aus und wurde des Mittags auf dem im Flaggenschmuck prangenden Prinzipalmarkt ein Konzert abgehalten.'
'Ein Doppeldecker flog wieder über Münster.'
'Nachdem mit frohem Glockengeläute die Nachricht von der Gefangennahme von 10.000 Franzosen im Kampfgelände von Verdun verkündet worden war, folgte am andern Tage die Siegesnachricht, daß die Panzerfeste Douaumont erstürmt sei. In der strahlenden Wintersonne, im selten schönen Schneebilde flatterten hier überall die Siegesfahnen.'
'Im Reich wurde wochenlang ein heftiger Streit der Meinungen über das Verhältnis des zurückgetretenen Großadmirals von Tirpitz zum Reichskanzler – dem man vielfach die nötigen Führereigenschaften abspricht – ausgetragen. Für Tirpitz und den uneingeschränkten Unterseeboot-Krieg setzte sich hier durch lebhafte Propaganda außer dem Regierungspräsidenten und dem Universitätsprofessor Meister besonders der Rechtsanwalt Dr Adolf ten Hompel ein.'
'In den Morgenstunden verbreitete sich in der ganzen Stadt blitzschnell das Gerücht, die Engländer seien in Holland gelandet und auf dem Marsche nach Münster. Die allgemeine starke Erregung wuchs, als die Zeitungen aufsehenerregende Nachrichten aus Holland über umfassende militärische Maßnahmen dort, Börsenpanik und stärkste politische Spannung brachten. Das alles schien die Gerüchte zu bestätigen. Hier denkt man an die Nähe der holländischen Grenze und befürchtet zum mindesten Fliegerangriffe.'
'Am Morgen wurde das hiesige Infanterie-Ersatzbataillon in Alarmbereitschaft gesetzt. Auch die Garnisondienstfähigen wurden kriegsmarschmäßig ausgerüstet. Als Grund wird allgemein die starke politische Spannung in Holland angesehen, mit der sich das Tagesgespräch der aufgeregten Menschen ständig beschäftigt. In den Baumbergen ist seit Kriegsausbruch auf dem Longinusturm ein Fliegerbeobachtungsposten eingerichtet.'
'Aus Anlaß der Einnahme von Kut el Amara wurde den hiesigen Schulen heute schulfrei gegeben.'
'Gewaltiges Aufsehen, hellste Freude, stärkste Begeisterung und größten Stolz rief die Meldung hervor, daß am Nachmittag des 31. Mai zwischen Skagerrak und Hornsriff zwischen unserer Hochseeflotte und dem erheblich überlegenen Hauptteil der englischen Kampfflotte eine Seeschlacht begonnen habe, die auch während der ganzen folgenden Nacht angedauert habe und für uns erfolgreich verlaufen sei […]. Alle öffentlichen Gebäude und die meisten Häuser flaggten stolz. Das Rathaus hatte nur Reichsfarben ausgesteckt; zum ersten Male wehte dort die offizielle Kriegsflagge, dicht unter dem altersgrauen doppelköpfigen Adler des Heiligen Römischen Reiches Teutscher Nation. Die Schulen hatten nach kurzen Siegesfeiern frei. Die Straßenbahnwagen waren mit Fähnchen geschmückt.'
'In der dritten Woche dieses Monats konnte der Schreiber dieser Chronik bei Tage und des Nachts auf einem Heidehügel in den Bockholter Bergen, wo er aus seinen täglichen Aufzeichnungen und tausenden Zeitungsausschnitten die größten Teile der Kriegschronik zusammengestellt hat, von der Westfront deutlich Kanonendonner hören und an seinem leichtgebauten Heidehäuschen spüren.'
'Ein Doppeldecker, der des Nachmittags mehrere Male über unserer Stadt kreuzte, stürzte, als er noch in einiger Höhe über der Loddenheide schwebte, plötzlich ab und zerschellte. Der Flieger konnte sich durch Abspringen retten.'
'Aus dem Industriegebiet kommen Nachrichten von Ausständen der Bergleute, die sich ausschließlich gegen die Lebensmittelverteilung richten. Die vier Bergarbeiterverbände warnen in einem Aufruf die Bergarbeiter eindringlich vor unbesonnenen Maßnahmen aus Anlaß der herrschenden Teuerung und Lebensmittelnot und der dadurch geschürten Unzufriedenheit. Unter den Bergleuten ist vielfach die Anschauung vertreten, sie könnten durch einen Massenausstand den Krieg endlich beenden. Dort fällt in den Gesprächen manchmal das Wort Revolution.'
'Am Nachmittage kreuzte ein Luftschiffgeschwader von Norden her unsere Stadt mit südlicher Richtung. Gegen ½ 3 Uhr erschien zuerst L 30, ein auffallend großes Schütte-Lanz-Luftschiff mit 6 Propellern, 10 Minuten später kam L 11, ¼ vor 4 Uhr L 14 und L 16. Das Erscheinen der Luftkreuzer, auf denen man die Plattformen mit den Fliegerabwehr-Maschinengewehren deutlich erkennen konnte, erregte in der ganzen Stadt große Bewegung. Gegen ¼ vor 7 Uhr kehrte L 30 von Südwesten her mit nordnordöstlichem Kurse zurück. Es wurde erzählt, es handele sich um eine Streife auf feindliche Flieger, die für Münster gemeldet seien; am Nachmittage hätten die Schulkinder in den Schulen ihr Verhalten bei Fliegerangriffen üben müssen. (Tatsächlich waren aber Ferien!) Die Aufregung steigerte sich noch, als an die Litfaßsäulen Plakate über die Verhaltensmaßregeln bei Fliegerangriffen angeschlagen wurden und die Zeitungen die Maßregeln des Generalkommandos veröffentlichten.'
'In diesen Tagen militärischer und politischer Spannung dünkte es uns allen Beruhigung und Rettung, dass der Kaiser den Generalfeldmarschall von Beneckendorf und von Hindenburg zum Chef des Generalstabes und des Feldheeres und seinen Mitarbeiter Generalleutnant Ludendorff zum Ersten Generalquartiermeister ernannte.'
'Nach erfreulichen Meldungen über die Erfolge Mackensens gegen Rumänien kam die Nachricht, daß die Schlacht am Argesul nordwestlich von Bukarest von der neunten Armee gewonnen sei. So konnten nach längerer Zeit über der Stadt die Siegesglocken wieder läuten. An allen öffentlichen Gebäuden und sehr vielen Privathäusern wehten die Siegesfahnen. Am Rathause flatterten außer der deutschen und der preußischen die Fahnen Österreichs, Ungarns, der Türkei und Bulgariens. Den Schulen ist morgen frei gegeben. In unwiderstehlichem Siegeszuge geht es von drei Seiten auf Bukarest zu.'