Im Kriegsjahr 1916 verschlechtert sich die Lage weiter. Es fehlt an Arbeitskräften und an Versorgungsgütern. Das Bezugskartensystem und die Rationierungen der Lebensmittel werden auf alle Lebensmittel ausgeweitet. Ab 22. Mai 1916 kümmert sich ein eigens gegründetes Kriegsernährungsamt um die Versorgung der Bevölkerung. Der vorläufige Höhepunkt der Ernährungskrise ist im Juni/Juli 1916 erreicht. Schulte spricht in seiner Chronik (S. 207) von einer 'Hungersnot'. Kinder betteln um Brotmarken. Nach einer Bestandsaufnahme ist klar, dass die Getreidevorräte nicht bis zur nächsten Ernte ausreichen. Die Pro-Kopf-Rationen müssen drastisch reduziert werden. Im Juli sind die Kartoffeln in Münster aufgebraucht und es erfolgt die Einrichtung einer täglichen Massenspeise. Die Pressezensur erlaubt keine Berichte über Kartoffelnot oder Versorgungsprobleme.
'Für die Frauen und Töchter von Handwerksmeistern hat er [der Direktor der städtischen gewerblichen Fortbildungsschule] einen Lehrgang in einfacher Buchführung eingerichtet, damit sie den im Geschäftsbetriebe erforderlichen Schriftwechsel sachgemäß führen und für den zum Heeresdienst eingezogenen Meister die Bücher in Ordnung halten können.'
'Das Straßenbild zeigt in stärkerem Maße die Beschäftigung weiblicher Personen in den verschiedenartigsten Berufen. Verwundete, deren Genesung es gestattet, betätigen sich immer mehr bei bürgerlichen Arbeiten. Auch bei dem Wiedereinsetzen der vielen großen Fensterscheiben, die bei der Pulverexplosion gesprungen waren, halfen Soldaten.'
'Die Versorgung der Bürgerschaft mit Kartoffeln und Gemüse im Kleinverkauf geschieht regelmäßig Woche für Woche durch die städtische Verkaufsstelle, die seit 8 Wochen vom Syndikatplatz in die Turnhalle des städtischen Gymnasiums und Realgymnasiums verlegt ist. Auch Eier, Käse, Speck, Schmalz, Marmelade, Heringe, Magermilch und Buttermilch sind in den letzten Wochen durch die Stadtverwaltung beschafft und von ihr oder durch Lebensmittelgeschäfte verkauft worden. Eine bessere Zufuhr von Eiern zeigte in der letzten Zeit auch der jetzt auf Mittwoch und Samstag beschränkte Wochenmarkt, während die Bauernbutter zumeist schon auf dem Wege vom Bahnhof zum Prinzipalmarkt unterwegs abgekauft wird. [...] Um die paar Butterverkäufer unter den Bögen bilden sich schon beim Marktbeginn große Menschenknäuel. Vor den Lebensmittelgeschäften, besonders beim Metzgermeister Schrage an der Telgter Straße, stehen in Wind und Wetter oft Hunderte von frierenden, mißgestimmten, blassen Menschen stundenlang in langen Reihen, drängen sich und schimpfen über Krieg, Hunger, Preise und Hamsterei. Eine eigenartige Erscheinung ist es, daß sich das Gerede über Hamstern gerade auf stadtbekannte Personen erstreckt und daß sich über Westdeutschland wie eine Geschwätzepidemie das Gerücht verbreitet hat, die Bürgermeister hätten Schinken in Hülle und Fülle hängen. Hier wurde erzählt, der Oberbürgermeister habe 30 Schinken. – Um ein paar holländische Heringe fanden sich heute hinter dem Rathause, wo auf dem Syndikatplatz seit kurzem über die offenen Verkaufsstände ein großes Zelttuch zum Schutz gegen Regen und Schnee aufgeschlagen ist, viele hunderte Menschen ein. Trotz allem Zureden wurde das G e d r ä n g e und die Unordnung so stark, daß die Polizeibeamten schließlich scharf vorgingen und die ersten Leute auf die hinteren Reihen gewaltsam zurückdrängten. Hunderte von Menschen schrieen, Frauen und Kinder kreischten auf, alte Leute fielen hin.'
'Nachdem die untergärigen Brauereien seit Beginn des Krieges ihre Bierpreise zweimal erhöht haben, haben die hiesigen Altbierbrauereien infolge der gestiegenen Malzpreise den Altbierpreis dadurch heraufgesetzt, daß sie in einem um 1/20 kleineren Bierglase ausschenken.'
'Nach einer Meldung der Münsterischen Zeitung wird die Menge der Fleisch- und Wurstrationen nach der Einführung der Fleischkarten wahrscheinlich auf 150 Gramm für den Kopf und Tag festgesetzt.'
'Der Oberpräsident hat für den Umfang der Provinz Westfalen die Ausfuhr von Rindvieh, Schafen und Schweinen verboten.'
Ab April 1916 ist der freie Kartoffelverkauf aufgehoben. Im Oktober 1916 herrscht eine regelrechte Kartoffelnot. Als Ausgleich für fehlende Kartoffeln werden Steckrüben verteilt. Aus dem Saft entsteht Marmelade, aus dem Mus ein Brotaufstrich. Die Steckrübe wird für die Zivilbevölkerung zum Symbol für Hunger, Entbehrung und Elend des Krieges.
'Von heute an sind Kartoffelkarten eingeführt. Auf ihnen wird bis auf weiteres nur noch 1 Pfund Kartoffeln als Tagesmenge für den Kopf des Haushalts aus den städtischen Beständen für die Haushalte, die keinen Kartoffelvorrat besitzen oder deren Vorrat nicht mehr als 14 Pfund für jedes Mitglied der Familie beträgt, verabfolgt. Die städtischen Kartoffeln werden verkauft in der Turnhalle des städtischen Gymnasiums und Realgymnasiums, in der städtischen Verkaufsstelle am Hafenverwaltungsgebäude, bei Anton Stadtbäumer, Wolbecker Straße 57, bei Karl Terwege, Südstraße 4 und Rothenburg 1, sowie bei Hermann Dommen, Münzstraße 27a.
'Als eine der Ursachen für die in den letzten Wochen vorhanden gewesene Fleischknappheit wird vielfach das Zurückhalten von Fleisch durch die Metzger betrachtet. Von solchen Fällen berichten in den letzten Tagen Zeitungsmeldungen aus anderen Städten, wo deshalb Aufläufe stattgefunden haben. Auch hier war die Erregung durch allerlei Gerüchte, dass bei einem Metzger für 30.000 Mark verstecktes Fleisch gefunden und beschlagnahmt sei, gestiegen. In Wirklichkeit hatte aber die Nachprüfung bei den hiesigen Metzgern ergeben, daß in keinem Falle von einer sträflichen Zurückhaltung von Fleischwaren die Rede sein konnte.'
'Von den lächerlichen Gerüchten über Hamsterei sei hier das Gerede vermerkt, dem Pfarrer August Binkhoff von Mauritz seien, als er in der Maiandacht gegen Hamsterei und Genußsucht gepredigt habe, 10 Schinken und ein Sack voll Mehl gestohlen worden; die Diebe hätten als Gegengabe einen Hering zurückgelassen.'
'Auch aus dem Felde kommen immer mehr Klagen über Verschlechterung der Kost. Viele Frauen und Mütter schränken sich hier noch weiter ein, um ihren Männern und Söhnen noch Pakete mit Eßwaren schicken zu können. Der Mangel an Lebensmitteln – im stillen schon manchmal Hungersnot genannt – wird empfindlicher. Statt um Geld betteln die Kinder jetzt um Brot oder Brotmarken. Dank der günstigeren Lage und der Tätigkeit unseres Kriegsausschusses ist der Mangel hier in allen Sachen wesentlich geringer als zum Beispiel im Industriebezirk.'
'Der Magistrat regelt den Verkehr mit Seife, Seifenpulver und anderen fetthaltigen Waschmitteln. Gegen Vorlegung einer Seifenkarte darf jeder monatlich höchstens 100 Gramm Feinseife und 500 Gramm andere Seife oder Seifenpulver oder andere fetthaltige Waschmittel beziehen.'
'Zur Vereinfachung der Speisekarte darf nach einer Bundesratsverordnung jedem Gaste in den Wirtschaften zu einer Mahlzeit, die höchstens aus Suppe, zwei Gängen und Nachtisch bestehen darf, nur 1 Fleischgericht verabfolgt werden.'
'Um den Auswüchsen in der Frauenmode und der Stoffverschwendung in der Frauenkleidung entgegenzutreten, hat der Kommandierende General des VII. Armeekorps die Einfuhr und den Vertrieb aller aus dem feindlichen Auslande stammenden Modeblätter und Modezeitschriften untersagt.'
'Gegenüber der Hamsterei von Eiern – Leute, die es sich leisten können, haben schon bis zu 1.000 Eier eingelegt – hat der Magistrat angeordnet, daß die Geflügelhalter Eier nur noch an Besitzer eines amtlichen Erlaubnisscheines verkaufen dürfen. Unter den Bögen dürfen die Bauern an eine Person nicht mehr als 5 Eier abgeben.'
'In diesen Tagen war die Aufregung der Frauen gar groß. Die Reihen an den Verkaufsstellen waren länger denn je, die Mißstimmung größer als früher [...] An der neuen städtischen Ausgabestelle von Lebensmitteln an der früher von Bönninghausenschen Besitzung am Servatiiplatz standen die Leute auf dem Bürgersteige von jenem Hause bis zum Hotel Monopol hin; das Drängen und Schieben führte auch mal zu einer regelrechten Prügelei.'
'Als Ersatz für Kartoffeln – die städtischen Vorräte waren ausverkauft, neue standen noch nicht zur Verfügung – erhielten die Inhaber von Kartoffelkarten weiße Speisebohnen, Gemüse und Speck.'
Schon seit November 1915 wird an zwei Orten der Stadt durch private Spenden finanziertes, billiges Essen an bedürftige Kinder ausgegeben. Am 3. Juli 1916 richtet die Stadtverwaltung die 'Massenspeisung' ein. Täglich erfolgt die öffentlich subventionierte Ausgabe einfacher Kriegskost - meist Suppe, die mit Straßenbahnwagen verteilt wird.
'Zur Behebung der augenblicklichen Lebensmittelschwierigkeiten und zur Sreckung der Lebensmittelvorräte führte die Stadtverwaltung die Massenspeisung ein. [...]
Um das Einsammeln unreifer Waldbeeren zu verhindern, hatten einige Landräte die Ernte vor dem 1. Juli verboten. […] Um die ersten zu sein, wanderten viele Hunderte schon am Abend vorher in die Wälder, verbrachten die Nachtstunden draußen und stürzten sich dann beim ersten Morgengrauen auf die Beeren. [...] Mit Reisekörben, Kisten, Schachteln, Eimern und Rucksäcken beladen füllten die Beerensucher tagelang die Züge. Der städtische Kriegsausschuß hat für die Bürgerschaft einen erheblichen Teil der Waldbeerernte aus dem Kreise Steinfurt gesichert.'
'Nach wochenlangem Regen schien am heutigen Sonntag endlich mal wieder die Sonne. Die Sorge um die Ernte beherrscht ebenso wie die Not um das tägliche Brot die Gespräche in Stadt und Land.'
'Am Nachmittage führte die Anordnung des Magistrats, daß die Haushalte mit den Anfangsbuchstaben A-L in der Zeit von 3 bis 8 Uhr im Rathause besondere Waren- und Kartoffelbezugscheine abholen sollten, zu einer großen Ansammlung auf dem Prinzipalmarkte. Da es sich um rund 10.000 Haushalte handelte, wuchs die Menge der Abholenden um 4 Uhr plötzlich so an, daß die Gasse zwischen Rat- und Stadtweinhaus die wartenden Leute nicht mehr fassen konnte. In wenigen Minuten standen die Menschen, zu 4 in Reih und Glied gruppiert, schon am Rathause, dann bald am Ausgange des Prinzipalmarktes, schließlich bis in die Ludgeristraße und dann sogar bis in den Eingang der Clemensstraße. Das ward Münsters größte 'Polonäse'. Es trat eine große Verkehrsstörung ein, zugleich eine sehr erregte Mißstimmung der Tausenden von Menschen, die sich in lauten Schimpfereien über die 'Stadt' äußerten.'
'In dieser Zeit schwerer Not war es ein freudiges Ereignis, daß die Lebensmittelabteilung des Generalkommandos im städtischen Schlachthause Rentierfleisch zum Preise von 1 Mark das Pfund fleischkartenfrei an die Bürgerschaft verkaufte. Tausende von Käufern fanden sich ein. Das Fleisch war aus den schwedischen Lappmarken gekommen und hatte auf dem langen Transporte bis hierher an Güte zum Teil eingebüßt; die angegriffenen Stellen waren vor dem Verkaufe beseitigt worden.'
'Trübe und grau wie die Natur ist auch die Stimmung der meisten Leute, nicht zuletzt der viereinhalbtausend Menschen, die auch heute wieder in dem Kreuzgange im Stadthause in drei langen Reihen stehen, um die Kriegsunterstützung zu empfangen, stumpf geworden in der tagtäglichen Sorge um den Mann oder Sohn im Schützengraben, verbittert geworden im Kampfe um das teure tägliche Brot.'
'In dieser Zeit der leeren Lebensmittelläden ließ auch der Wohlhabende gern seine Kochtöpfe auskratzen, die Brotkrümmel sammeln und das Butterpapier abstreichen.'
'Der diesjährige Saatenstand auf den großen neuen Kulturen der sandigen Loddenheide, durch die Heeresleitung angelegt und von Kriegsgefangenen geschaffen, steht nach einer Zeitungsmeldung vorzüglich, trotz des langen Regens. Es sind Roggen und Hafer gesät, Kartoffeln, Steckrüben und Kappus gepflanzt.'
'Die Bestimmungen der Bundesratsverordnung vom 10. Juni über die Ausgabe der Bezugsscheine für Web-, Wirk- und Strickwaren traten in Kraft. Diese Waren dürfen fortan mit Ausnahme derjenigen, die auf der Freiliste stehen, nur gegen einen Bezugsschein, der nur auf Antrag und nur im Bedarfsfalle erteilt wird, verkauft werden. Zur Durchführung der Verordnung wurde in den alten Schulräumen am Servatii-Kirchplatz 4-6 (Kloster Niesing) eine städtische Ausgabestelle der Bezugsscheine für Bekleidungsgegenstände errichtet.'
'In einer ganzen Reihe von Lebensmittelgeschäften ließ die Stadt städtische Butter zum Preise von 2,55 Mark für das Pfund gegen Vorlegung der Butterausweise verkaufen. Vor einzelnen Geschäften gab es schon in den frühen Morgenstunden große Ansammlungen, Drängerei und Aufläufe. In kurzer Zeit hing an allen Geschäften, die sich der Nachfrage nicht mehr erwehren konnten, Zettel ,Butter gänzlich ausverkauft’. Auf dem Spiekerhof entstand vor dem Geschäfte Stanlein u. Söbbeke unter den Drängenden eine Schlägerei, die von der Polizei geschlichtet werden mußte. Noch am Nachmittag liefen Hunderte von Käufern vergeblich zu den entferntesten Geschäften in der Hoffnung, dort noch Butter zu bekommen.'
'Auf Anordnung des Magistrats wurde eine Kundenliste in den Fleischergeschäften eingerichtet. Die Schwierigkeiten der Fleischbeschaffung zeigten sich auch in einem starken Zulauf zu den Metzgern auf dem Domplatz, die dorthin nach alter Sitte aus Telgte und den um Münster liegenden Dörfern jede Woche kommen. Wie bei den großen Metzgerläden hält auch auf dem Domplatz bei jedem Verkaufsstand ein Polizeibeamter Aufsicht. Am letzten Samstag, so erzählt man sich, haben beim Großmetzger Deckwitz im Bült Frauen von des Nachts 2 Uhr an in der engen Gasse gestanden oder auf Stühlen, die sie von Hause mitgebracht oder von der mitleidigen Nachbarschaft geholt hatten, gesessen. Bei Schrage sollen die Frauen schon am Abend vorher von 11 Uhr an bis zum folgenden Morgen gewartet haben.'
'Zur Unterstützung der Ernte forderte der Oberbürgermeister durch die Zeitungen die Besitzer von Privatgespannen, die zum Teil Luxus- oder Annehmlichkeitszwecken dienen, auf, der Landwirtschaft zu helfen.'
'Auf Anordnung des Kriegsministers hat auch das hiesige Generalkommando die Beschlagnahme von Pflaumen und Äpfeln für die Mus- und Marmeladeherstellung befohlen, um die Versorgung des Heeres und der bürgerlichen Bevölkerung mit Brotaufstrich zu sichern. Wie keine andere Lebensmittelanordnung erregte diese Beschlagnahme bei den Obstzüchtern und den Verbrauchern Aufsehen und Erregung. Von hier machten sich viele Leute die Tatsache, dass die Bauern erst am Montag die Zeitung mit der Beschlagnahmeverfügung bekämen, zunutze und pilgerten am Sonntag mit Rucksäcken, Taschen, Schachteln, Koffern und Reisekörben hinaus aufs Land und holten dort, so viel sie bekommen konnten, zusammen. Mancher Obstbaum an den Chausseen wurde von Unberechtigten abgeerntet.'
'Eine Bekanntmachung des Magistrats bestimmt, daß alle Speisereste und Küchenabfälle von den Haushalten und Betrieben von der städtischen Müllabfuhr abgefahren und zur Verfütterung im städtischen Schlachthof verwendet werden sollen. Dort hat der städtische Kriegsausschuß eine städtische Schweinemastanstalt zur Versorgung der Bevölkerung mit Schweinefleisch eingerichtet.'
'Auf die Anzeige des Metzgers Schrage über den Verkauf von Hasenpfeffer, Hasen, Hühnern und Sauerkraut fand heute morgen dort eine besonders große Belagerung statt. Das Drängen der Frauen war lebensgefährlich. Die Metzgergehilfen konnten weder mit gütlichem Zureden noch mit Gewalt die lärmenden, drängenden und schreienden Frauen zur Vernunft bringen. Unterm Bogen vollzogen inzwischen zwei kaufhitzige Frauen an einem lebenden Huhn, das jede von ihnen haben wollte und deshalb jede an einem Bein hielt, das Salomonische Urteil, das in biblischer Darstellung nicht weit von dieser Richtstätte im Jahre 1577 am Kamin des Friedenssaales angebracht worden ist.'
'Infolge der Neuregelung der Fettversorgung darf Butter nicht mehr frei verkauft, sondern nur noch an die behördlich bestimmte Sammelstelle (Milchhändler Mächler, Wilmergasse) abgeliefert werden. Damit hat eine seit Menschengedenken hier bestehende Absatzart, Bauernbutter Mittwochs und Samstags unter den Bögen feilzuhalten oder in die Häuser der Kundschaft zu bringen, ihr Ende erreicht. Fortan fahren Omnibusse und Bauernwagen nicht mehr zum Münsterschen Buttermarkt.'
'Eine Anzahl von Vertretern von Kommunalverbänden besichtigte die Trocknungsanlage des hiesigen Kriegsverpflegungsamtes in Hiltrup, die täglich rund 800 Zentner Kartoffeln und Gemüse dörren kann. Die Abfälle dieser Anlage werden für die seit kurzem dort eingerichtete Schweinemast verwendet.'
'Die öffentliche Bewirtschaftung der Butter führt zu gesteigertem Schmuggeln. Für gutes Geld ist überall in den Städten sogenannte Schmuggelbutter zu bekommen.'
'Wegen des Mangels an Beleuchtungsstoffen, besonders an Petroleum in den Familien begann der Unterricht in den Volksschulen schon am 1. November, statt wie sonst am 15. des Monats, erst um 8 ½ Uhr. Um den Kindern Gelegenheit zu geben, ihr Frühstück zu Hause einzunehmen und wegen der Brotknappheit Suppe oder Kartoffeln zu essen, ist ferner die Frühstückspause auf 20 Minuten ausgedehnt.'
'Im Interesse der Übersicht über die Versorgungsberechtigten – im ganzen Reiche stehen rund 4 Millionen Menschen mehr auf den Brotkarten als in den Personenstandsaufnahmen! – fand eine Volkszählung statt, außerdem eine Viehzählung und eine Bestandsaufnahme der im Stadtkreise vorhandenen Vorräte an Kartoffeln und Steckrüben.'
'Eine Verordnung betrifft Ersparnisse an Brennstoffen und Beleuchtungsmitteln. Die Gast-, Speise- und Schenkwirtschaften, Kaffeehäuser, Theater, Lichtspielhäuser sowie öffentliche Vergnügungsstätten aller Art, Vereins- und Gesellschaftsräume müssen um 10 Uhr abends schließen. Die Beleuchtung der Schaufenster, der Läden und Verkaufsräume sowie der Wirtschaften und aller sonstigen Vergnügungsstätten ist auf das unbedingt erforderliche Maß einzuschränken. Die Außenbeleuchtung der Schaufenster zu gewerblichen Zwecken und jede Lichtreklame ist verboten, ebenso die dauernde Beleuchtung der gemeinsamen Hausflure und Treppen nach 9 Uhr abends.'
Der Hunger treibt die Bevölkerung in die Illegalität. Frauen, Jugendliche und Kinder unternehmen verbotene 'Hamsterfahrten' ins Umland. Zur Vermeidung gibt es auf den Bahnhöfen strenge Kontrollen. Auch Diebstähle - etwa ganze Kästen mit Brotmarken oder Feldfrüchte - sind an der Tagesordnung. Der Schwarzmarkt blüht. Zur Nahrungsmittelknappheit gesellt sich ein erheblicher Brennstoffmangel. Ein freiwilliger Hilfsausschuss soll Hilfe bieten. Der Unmut der Bevölkerung wird mit Durchhalteparolen und Zurückhalten schlechter Nachrichten besänftigt.
'Die Versuche, die Stimmung für den Kampf um das Durchhalten zu heben, sind wegen der wachsenden Lebensmittelnot nicht unberechtigt. Wenn man die Lebensmittelgeschäfte fast nur mit 'Ersatz' gefüllt sieht, die Hast und Aufregung der Hausfrauen um die Nahrungsmittel beobachtet, wenn man seit Monaten erleben muß, wie arme hungrige Jungens unter den Bögen oder auf dem Domplatz die Straßenrinnen oder die Verkaufsplätze noch vor dem Kehrbesen nach fortgeworfenen Gemüse- oder Obstresten durchsuchen, wie in den Brothandlungen Kinder um die beim Schneiden abfallenden Brotkrümmel betteln und in den Obstgeschäften wohl hundertmal am Tage 'für zehn Pfennig Abfall' verlangt wird – dann und bei so vielen anderen tagtäglichen Vorkommnissen muß auch dem, der an Deutschlands gerechten Kampf und an Gottes gütige Vorsehung unerschütterlich glaubt, in diesem schweren dritten Kriegswinter die Sorge kommen, ob ein wirtschaftliches Durchhalten auf die Dauer überhaupt möglich ist.'