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Eine Zeitzeugin berichtet

Geld in den Schuhsohlen und die gute Uhr in der Schuhcreme-Box: Frau A. hat an der Seite ihres Vaters die Vertreibung aus Schlesien erlebt. Unter großer Gefahr hat der Vater Wertvolles in den Westen „geschmuggelt“!

Vorgeschichte
Frau A. wurde in Striegau geboren und ist dort zur Schule gegangen. Als nach dem Krieg die sowjetischen Soldaten näher rückten, wurde ihre Großmutter, die noch in Striegau wohnte, mit Leiterwagen unter den zerbombten Brücken in das damalige Reichenbach im Eulengebirge geholt.

Bis zum Kriegsende 1944
Der größte Teil der Familie blieb ab Weihnachten 1944 bis zum Kriegsende in einer Ferienhütte in den Bergen. Als sie zurück nach Hause kamen, war vieles von den Russen zerstört worden. Frau A. erinnert, dass etwa in die Vorräte der Familie uriniert oder der Wein in den Rinnstein gekippt worden war. Sogar die Wasserhähne wurden von den Russen mitgenommen. Da die Familie fast alles verloren hatte, begann sie als gut 20-jährige Frau bei einem Polen auf dessen behindertes Kleinkind aufzupassen. Sie brachte ihm bei zu laufen, indem sie ihn in ein Kissen steckte. Der Pole bot ihr an, sie zu adoptieren. Dadurch wäre sie dem Abtransport in den Westen entgangen. Sie lehnte dies jedoch gegen den Wunsch ihrer Familie ab.

Die Vertreibung
Bis 1946 blieb die Familie in Schlesien. Im April 1946 begannen die ersten Transporte in den Westen. Der erste Transport fuhr in die westlichen Sektoren, der zweite in den sowjetischen Sektor. „Mein Vater wollte in den Westen“, blickt Frau A. zurück. Eines Morgens, um sechs Uhr, wurde die Familie gezwungen, das Nötigste zu packen und sich in Dreier-Reihen auf dem Sammelplatz vor der Schule aufzustellen. Eine Anwesenheitsliste wurde gemacht. In der vierten Reihe stand jeweils ein polnischer Milizangehöriger. Dies machte allen furchtbare Angst.

Das Gepäck
Im Vorfeld hatte die Familie schon einige lebenswichtige Dinge sowie Erinnerungsstücke, z.B. die Briefmarkensammlung des Bruders, in dem Wassertank einer Steinschneidemaschine versteckt. Die stammte aus einem Grabsteingeschäft eines Polens, der den Betrieb in eine Autowerkstatt umgebaut hatte. Zudem hat der Vater während der Vertreibung in jeder seiner Schuhsohlen 1.500 Reichsmark geschmuggelt. Dies war nicht erlaubt, da nur 500 RM mitgenommen werden durfte. Auch ein Schmelzbrocken aus Gold wurde in dem doppelten Boden einer Milchkanne geheim gehalten sowie die Uhr in der Schuhcremeschachtel. Mitgenommen haben sie sonst drei Teller, Besteck und das Notwendigste. Der kleine Bruder nahm noch sein Auto und den Teddy mit. Jeder zog sich mehrere Schichten Kleidung über, um möglichst viel mitnehmen zu können.

Transport
Da in einem Waggon bis zu 40 Leuten eingepfercht waren, bekam die Frau eines Arztes Platzangst und wollte aus dem Waggon heraus. Doch dies konnte nicht gelingen, weil die Waggons mit so genannten Wagenradgassen-Schlössern abgeriegelt wurden. An der Grenze zum Westen bekamen sie heißes Wasser aus dem Kessel der Lokomotive. Insgesamt verbrachten sie 14 Tage in dem Zug.

Der Empfang
Zuerst wurden sie nach Warendorf gebracht, wo sie direkt nach der Ankunft mit Flohpulver behandelt wurden. Auch sollte Frau A. sich beim Amt melden und bekam dort einen Ausweis A (für Ausgewiesene; es gab auch einen Ausweis B für Flüchtlinge). Zunächst wurde sie dann zwei Wochen auf einem Gestüt in Pferdeboxen untergebracht. Dort gab es auch immer Mittagessen wie z.B. Gulasch-Kanone.

Dann wurden sie einem Bauernhof zugeteilt, wo sie eine kleine Wohnung neben dem Kuhstall bezogen. Der Vater fing wieder als Grabmalmacher an. Jedoch fühlte er sich in dem Betrieb wie ein dummes Kind behandelt, sodass er schließlich eine Tätigkeit als Holzverarbeiter aufnahm. Auch Frau A. musste schnell eine Arbeit finden, da das Geld, das der Vater verdiente, nicht ausreichte, um die ganze Familie zu ernähren.

Seit Jahren wohnt sie in Münster. In Erinnerung an ihre Herkunft ging sie später alle zwei Jahre zu einem Heimattreffen.

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