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"Aufklärung" und Wohlfahrt |
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Initiativen des Fürstbischofs Streit mit der Stadt Fürsorge und Disziplinierung Ein Verein für alle Armen ... soweit die Füße tragen Scheitern des Armenvereins
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Initiativen des Fürstbischofs
Dennoch konnte der Nachfolger Ferdinand von Fürstenberg die fürstbischöfliche Aufsicht im städtischen Armenwesen ausweiten, in dem er 1679 zwei seiner Beamten, den Stadtrichter und den "Advocatus pauperum", mit der Abnahme der Jahresrechnungen der städtischen Armenstiftungen beauftragte. Neue Impulse in der münsterschen Armenpolitik setzte Fürstbischof Clemens August (1719-1761) aus dem Hause der bayerischen Wittelsbacher. In dem Bestreben, die Armenfürsorge zu zentralisieren, legte er 1732 zur Finanzierung eines neuen Hospitals die Stiftungsvermögen der vier Pestkrankenhäuser (Elenden) zusammen. Das Hospital der Barmherzigen Brüder (Clemenshospital) wurde 1754 eröffnet. Der Fürstbischof gründete 1756 auch die "Congregatio Pauperum" (Armenvereinigung). Mit dieser Einrichtung verfolgte er das Ziel, die Armen durch Geldsammlungen zu versorgen, um das Betteln abzuschaffen. Das Vorhaben scheiterte allerdings nach kurzer Zeit, weil die Bürgerinnen und Bürger ihre Almosen lieber den Armen in die Hand als den Sammlern in die Büchse gaben. Modernisierungsversuche unternahm auch Fürstbischof Max Friedrich von Königsegg-Rothenfels (1762-1784). 1770 beauftragte er drei Regierungsmitglieder, "die Verwaltung der Armenpfründen und Stiftungen, sie mögen durch den Magistrat oder sonst jemand administriert werden, zu untersuchen." In ihrem Gutachten forderten die Kommissare tiefgreifende Reformen. Daraufhin wurde eine Kommission zur Revision "des gemeinen Armenwesens" eingesetzt, der nun auch der leitende Minister Franz von Fürstenberg angehörte. Viel war nicht zu erreichen, da der städtische Magistrat noch nicht zu Reformen bereit war. |
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Streit mit der Stadt
Die wiederholten Versuche der Fürstbischöfe, Einfluss auf die städtischen Stiftungen zu gewinnen und diese nach Möglichkeit zu zentralisieren, hatten schon lange Argwohn und Abwehr des Magistrats hervorgerufen. Der Konflikt eskalierte im Jahr 1772, als auf Anregung der fürstbischöflichen Untersuchungskommission die Entschädigung der Ratsherren für ihre Tätigkeit als Verwalter der Stiftungen reduziert und vereinheitlicht werden sollte. Für die beiden Bürgermeister hätte das eine Kürzung der Bezüge auf ein Fünftel bedeutet. Entscheidend für den Widerstand des Magistrats war die Auffassung, dass der Fürstbischof in unzulässiger Weise in die noch verbliebene städtische Selbstverwaltung eingriff. Nachdem die ersten Proteste wirkungslos verhallt waren, wandte sich der Rat an die Juristische Fakultät der Universität Ingolstadt mit der Bitte um ein Gutachten. Darin wurde die Unantastbarkeit der bisherigen Verwaltungspraxis festgestellt und eine Appellation vor dem Reichskammergericht in Wetzlar für gerechtfertigt erklärt. In dem heftiger werdenden Schriftwechsel berief sich der Rat auf sein alt hergebrachtes Recht und den direkten Auftrag der Stifter und drohte mit einer Klage. Max Friedrich hingegen kalkulierte kühl, dass ohne die hohen Aufwandsentschädigungen der Stiftungszweck besser und "viel vollständiger" erreicht werden könne. Schließlich warf er den Ratsvertretern vor, auf "unbillig privat Vortheil" und "ein bequemes Auskommen" bedacht zu sein. Auf dem Höhepunkt der Streitigkeiten verlegte die Untersuchungskommission die Rechnungsprüfung vom Rathaus in den Bereich der Domimmunität, wodurch die Bewirtungskosten und die Entlohnung der Gerichtsdiener entfielen. Ende Juni 1773 ging die Appellation des Rates beim Reichskammergericht ein. Sie wurde abgewiesen, der Prozess nie eröffnet. Aber der Rat gab nicht auf. 1777 gestand der Fürstbischof den Ratsherren wieder die uneingeschränkte Ausübung ihrer Exekutorenfunktionen zu. Auch die Zahlung der Aufwandsentschädigungen genehmigte er, mit Ausnahme zusätzlicher Leistungen wie Weingeld und Bewirtung. Nach dem Regierungsantritt des neuen Fürstbischofs Max Franz von Österreich (1784-1801) trat die Untersuchungskommission nicht mehr zusammen. So konnten sich die traditionellen Kräfte in der Armenverwaltung vorübergehend noch behaupten, mussten dann aber nach 1802 dem Modernisierungsdruck durch die neue preußische Regierung weichen. |
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Fürsorge und Disziplinierung
Das unter Clemens August von Bayern 1734 fertiggestellte Zuchthaus war ein wichtiges Droh- und Disziplinierungsinstrument der landesherrlichen Politik. Arbeitsunwillige sollten zur Arbeit gezwungen werden. Grundlegend waren hierfür schon die modernen Vorstellungen von der Nützlichkeit des einzelnen Menschen und der Wohlfahrt des Staates. Den Landeskindern galt aber weiterhin die fürstliche Fürsorge, seine Großzügigkeit und Mildtätigkeit für die ehrlichen Armen. Clemenshospital und "Congregatio Pauperum", angeregt aus barocker Frömmigkeit und gefördert aus Repräsentationsbedürfnis, waren gleichermaßen innovativ und wegweisend, indem sie die Krankenpflege für die Armen verbesserten, die Mittelverteilung rationalisierten und sich über regelmäßige Kollekten und Almosen finanzierten. |
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Ein Verein für alle Armen
Die "Congregatio Pauperum Sanctae Crucis et Sacri Rosarii", so der vollständige lateinische Name der Einrichtung, wurde im Juli 1756 durch den fürstbischöflichen Landesherrn Clemens August von Bayern gegründet. Im Gegensatz zu Bruderschaften in anderen Städten nahm sie nicht die Almosengeber sondern allein die Armen auf. Als Kurator der Stiftung wurde der fürstbischöfliche Stadtrichter Christoph Bernhard Gräver eingesetzt. Mit dessen gleichzeitigem Aufgabenbereich als oberster Polizeikommissar für die Stadt und dem Erlass einer verschärften Bettelordnung im Juni 1756 zeigt sich wiederum der Doppelcharakter der fürstbischöflichen Armenpolitik. Dem Zweck, die Armen zu nützlicher Arbeit zu verpflichten, dienten auch die Pläne zur Errichtung eines Spinnhauses für Frauen und einer Manufaktur für Männer. Das Spinnhaus wurde einige Jahre später, die Manufaktur allerdings nie eröffnet. Die Bruderschaft wurde geschaffen, um eine ausreichende Versorgung der Armen zu sichern. Alle Armen mussten sich in ein Verzeichnis eintragen lassen, was Doppelunterstützungen verhindern sollte. Außerdem ermöglichte diese Kontrolle einen Überblick über das Ausmaß der Armut in der Stadt sowie eine Überprüfung der Bedürftigen nach einsichtigen Kriterien. Dies war ein wichtiger Schritt vom christlichen Gebot der Nächstenliebe und freier Mildtätigkeit zu einer rationalen Verwaltung der Armut. Die Mitglieder der Armenvereinigung wurden einer von vier Unterstützungsklassen zugeordnet. Dabei bekamen die ganz Unvermögenden mit dem Höchstsatz von wöchentlich neun Schillingen den vollständigen Lebensunterhalt gezahlt. Den anderen Bedürftigen gewährte man in Abstufung eine notwendige Zulage, wobei jedoch darauf geachtet wurde, dass die Arbeitsfähigen nach ganzer Kraft arbeiteten und die Almosen nicht den Müßiggang unterstützten. Außerdem standen allen erkrankten Armen zusätzliche, durch Sonderkollekten finanzierte Leistungen als Lohnersatz zu. Mit dem Einzug in die Rathauskapelle 1758 und der Einführung einer wöchentlichen Messe wurde die Gewährung von Almosen vom Besuch der Messe abhängig gemacht. Die Kinder der Armen mussten an religiösem und praktischem Unterricht teilnehmen. Diese Maßnahmen führten zu einem starken Rückgang der Teilnehmer. Offensichtlich war es aufgrund der Konkurrenz unter den Einrichtungen der Armenfürsorge den Bedürftigen möglich, ihren Lebensunterhalt aus anderen Almosenquellen zu bestreiten. |
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... soweit die Füße tragen
Mit der Gründung der Armenkongregation 1756 hatte sich Fürstbischof Clemens August sehr bewusst über die dezentralen Traditionen der Armenfürsorge in Münster hinweggesetzt. Bis dahin waren alle Stiftungen der offenen Armenfürsorge auf Pfarrgemeinden oder Stadtviertel begrenzt gewesen. Die neue Armenvereinigung umfasste das ganze Stadtgebiet. Die Bruderschaft finanzierte sich aus einer wöchentlichen, zentral organisierten Almosensammlung. Durchgeführt wurde die Kollekte in den sechs "Leischaften" (Stadtbezirken) von je einem Mitglied der Vereinigung, das einen besonderen Ausweis bei sich trug. Die Büchsenträger wurden von je zwei Bürgern begleitet. Am Samstag vor Neujahr übernahmen sogar die Bürgermeister und Ratsherren persönlich die Begleitung. Nicht nur in der Bürgerstadt zogen die "Kollektoren" (Sammler) von "Hauß zu Hauß". Man klopfte auch an den Häusern auf der Dom-Immunität, an den Klostertoren und ließ keine der übrigen von allgemeinen Abgaben befreiten Einrichtungen aus. Allsonntäglich fand die öffentliche Geld- und Brotausgabe der Armenkongregation statt. Ein wichtiges Element der wöchentlichen Zusammenkünfte war die vorangehende Messe, die 1758 eingeführt wurde. Der gemeinsame Gottesdienst sollte neben der Förderung der Frömmigkeit auch der Unterweisung der Kinder im Glauben und einer sittlichen Erziehung im Sinne der katholischen Almosenlehre dienen. Bei den wöchentlichen Versammlungen bestand für die Wohltäterinnen und Wohltäter zudem die Möglichkeit, sich selbst ein Bild über die Notlage jedes einzelnen Mitglieds der Kongregation zu machen. Nach Verlesung der veranschlagten Unterstützungssätze hatten sie das Recht, eine Anhebung oder Reduzierung zu beantragen, wenn ihnen die Beihilfe unangemessen erschien. Das Bruderschaftsregister lag während der Woche für jedermann zur Einsicht aus. So konnten sich auch diejenigen, die am Sonntag nicht dabei gewesen waren, über die ausgezahlten Beihilfen informieren und gegebenenfalls ein abweichendes Votum zu Protokoll geben. |
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Scheitern des Armenvereins
Die anfänglichen Erfolge der "Congregatio pauperum" konnten nicht in eine dauerhafte Beteiligung aller Bürger umgesetzt werden. In seinen letzten Amtsjahren beklagte sich der Stadtrichter Gräver über die Almosenvergabe der münsterschen Bürger: Der Münsteraner lege seine Gaben "nicht mehr in die wöchentliche Armenbüchse", [...], "weilen [er] Gelegenheit genug habe, solche bey den sich ihme angebenden Armen anzubringen". Diese Situation führte zu immer geringeren Einnahmen, so dass im Jahr 1800 die Einkünfte nicht einmal mehr ausreichten, um den Büchsenträgern die übliche Vergütung zu zahlen. Der Zusammenbruch des Systems wurde durch die Krisen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts beschleunigt. Der Siebenjährige Krieg (1756-1763) und die Revolutionskriege (1790-1795) brachten den Verlust vieler Wohngebäude durch Bombardements der Stadt (1759) sowie eine Verknappung und Verteuerung der Lebensmittel mit sich. Nach Ende des Siebenjährigen Krieges kehrten viele aus der Armee Entlassene arm nach Münster zurück. Außerdem mussten zahlreiche Invaliden sowie Witwen und Waisen versorgt werden. In der Folge der Wirren der Französischen Revolution kamen fremde Bettlerinnen und Bettler sowie Emigranten nach Münster. Im Juli 1794 ordnete Fürstbischof Max Franz eine Kollekte für die "schwachen, nackenden aus Frankreich wegen Beharrlichkeit der Religion vertriebenen [...] unglücklichen Priester" im Bistum Münster an. Mit den Revolutionskriegen erhöhte sich die Zahl der Militärarmen noch einmal beträchtlich. Diese neuen Verarmungsprozesse in der Stadt und der massive Zuzug Unvermögender konnten von der Bruderschaft nicht aufgefangen werden. So wurden seit 1771 in steigendem Maß fürstbischöfliche Subventionen zum Unterhalt der Kongregation und des Spinnhauses notwendig. Die zunehmende Präsenz fremder Armer in der Stadt, die von den Bürgern privat unterstützt wurden, führte zu weiteren finanziellen Einbußen der Bruderschaft. Anders als in anderen Städten gab es in Münster keine Anstalt für Militärarme. Als sich sowohl die stadtrichterliche Armenpflege als auch die landesherrliche Kasse außer Stande sahen, ihren sozialfürsorgerischen Aufgaben nachzukommen, erlangte der Rat durch die von ihm organisierten Hilfsaktionen wieder die größere Bedeutung für das Armenwesen der Stadt. Das Reformexperiment des Fürstbischofs Clemens August von Bayern war gescheitert. |
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