-» zurück zur Homepage
Bettelwesen
Werke der Barmherzigkeit
Obrigkeitliche Wohlfahrtspolitik
"Aufklärung" und Wohlfahrt
Die Armenkommission
Private und öffentliche Fürsorge
 
Stadtarchiv / Stadt Münster
Armut Vom Stiften Offene Armenfürsorge Leben in Armenhäusern Orte der Wohltätigkeit
Private und öffentliche Fürsorge

• Konfessionelle Vereine
• Karitative Vereine
• Soziale Vereine
• Stiftungen und Sozialgesetzgebung
• Das "Elberfelder System"

Mitglieder des "Vaterländischen Frauenvereins" bei der Spendenabrechnung [Bildnachweis]
Nach der europaweiten Hungerkrise 1846/47 zeichnete sich auch in Münster ab, dass die traditionelle Armenfürsorge von den wachsenden Problemen überfordert war. Die älteren sozialen Stiftungen leisteten viel, aber nicht genug. Tatkräftige Hilfe war nötig, um die Armen wirkungsvoll zu unterstützen.
Aus religiöser und sozialer Motivation gründeten engagierte Menschen in Münster in der Folgezeit eine Vielzahl von Vereinen, die auf unterschiedliche Weise den Zweck verfolgten, Hilfsbedürftige zu unterstützen. So entstand neben der öffentlichen eine private, von den Vereinen getragene Fürsorge. Als der Staat nach 1880 durch seine Gesetzgebung die öffentliche Fürsorge auf eine neue Grundlage stellte, wurde immer deutlicher, dass die private und die öffentliche Fürsorge aufeinander abgestimmt werden müssten. Dies gelang 1894 mit der Einführung des "Elberfelder Systems".


Konfessionelle Vereine

Signets konfessioneller Frauenvereine [Bildnachweis]
Es gab in Münster um 1900 zahlreiche konfessionelle Vereine mit zum Teil starkem Rückhalt in der Bevölkerung, wie den "Katholischen Arbeiterverein" (1895 mit 1500 Mitgliedern!), die durch ihre Tätigkeit die Ärmsten der Bevölkerung u nterstützten. Der "Katholische Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder" half alleinstehenden Mädchen, straffällig gewordenen ledigen Müttern oder Frauen aus zerrütteten Familien.
Für den kleineren evangelischen Teil der Stadtbevölkerung war 1824 der "Evangelische Frauenverein" und nach 1850 der sogenannte "Pfennigverein" und der "Diakonissenverein" gegründet worden.
In der jüdischen Gemeinde waren 1842 der "Israelitische Frauenverein" und 1847 der "Israelitische Wohltätigkeitsverein" entstanden.


Karitative Vereine

Domkapitular Hermann Rüping (1844-1919) [Bildnachweis]
Das bürgerliche Vereinswesen übernahm wichtige Funktionen in der traditionellen Armenpflege. Schon um 1850 existierten in Münster zahlreiche karitative Laienvereinigungen. Zum wichtigsten Träger der privaten Wohlfahrt wurde der "Vincenz-Joseph-Verein". Benannt nach dem heiligen Vincenz von Paul (1581-1660), wurde diese Vereinsbewegung 1833 in Paris gegründet, in Deutschland 1845 eingeführt und in Münster 1849 ins Leben gerufen.
Getreu dem französischen Motto "Allons aux pauvres!" (Lasst uns zu den Armen gehen) kümmerten sich die Mitglieder des Vereins um arme Familien, halfen ihnen durch materielle Unterstützung und standen ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Darüber hinaus beteiligte sich der Zusammenschluss seit 1857 an der Fürsorge der Kinder und der Unterhaltung der "Kinderbewahranstalten". Als sein Pendant verstand sich der 1851 gegründete "Elisabeth-Verein", der weiblichen Mitgliedern vorbehalten war. Beide bestimmten in der Folgezeit die Aktivitäten der privaten karitativen Fürsorge.
Zwischen dem "Vincenz-Verein" und der Kommunalverwaltung bestanden enge Bindungen. Führende Mitglieder von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung, wie Adolph Schmedding, Karl Windthorst oder Bernhard Wuermeling, waren im Verein in leitender Position tätig. Domkapitular Hermann Rüping (1844-1919) stand ebenfalls über einen langen Zeitraum im Vincenzverein an führender Position.


Soziale Vereine

Erfrischungsstelle des Vaterländischen Frauenvereins [Bildnachweis]
Während des Ersten Weltkrieges wurden durchreisende Soldaten im Bahnhof Münster von Mitgliedern des Vaterländischen Frauenvereins verpflegt.
Neben den konfessionellen und karitativen Vereinigungen gab es in Münster schon vor 1900 auch zahlreiche soziale Vereine, die ebenfalls die arme Bevölkerung in verschiedenen Bereichen unterstützten. So wirkten zu Beginn der Weimarer Republik 1918 in der Stadt 16 verschiedene Frauenvereine, die als Träger der privaten Wohlfahrt arbeiteten. Der Eisenbahn-Frauenverein, der Israelitische Frauenverein, der Rheinisch-Westfälische Frauenverband und der Verein der Freundinnen junger Mädchen sind hier als wichtige Beispiele anzuführen.
Neben den Frauenvereinen und vielen weiteren Vereinen leistete die "Münsterische Gefängnisgesellschaft" wichtige soziale Arbeit. Sie verstand sich als Tochterverein der überkonfessionellen "Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft" von 1826. Prominente Fürsprecher, wie Erzbischof Graf Spiegel, Caspar Max von Droste-Vischering und der spätere Oberbürgermeister Johann Hermann Hüffer gründeten diesen Verein schon im Jahr 1830. Vereinsziel war die Betreuung und Unterstützung entlassener Strafgefangener und deren Familien.


Stiftungen und Sozialgesetzgebung

Das "Provinzial-Anstalt-Hospiz" Marienthal, um 1900 [Bildnachweis]
Um 1850 erließ die preußische Regierung einige Verordnungen, die die praktische Armenfürsorge vorantrieben. Bestimmungen zum Schutz der Arbeiter folgten. Aber erst im 1871 gegründeten Kaiserreich erreichte die neue Sozialpolitik mit der Versicherungsgesetzgebung nach 1880 ihren Höhepunkt. Reichskanzler Otto von Bismarck schuf mit dem Krankenversicherungs- (1883), Unfallversicherungs- (1884) sowie dem Invaliden- und Altersversicherungsgesetz (1889) wesentliche Entlastungen der traditionellen Armenfürsorge.
In der Heimerziehung und bei der Behandlung spezieller Erkrankungen suchte der preußische Staat schon um 1875 die Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden. Da die bisherigen traditionellen konfessionellen Pflegeanstalten nur teilweise die ihnen übertragenen Aufgaben in der Kranken- und Behindertenfürsorge erfüllen konnten, wurden Provinzialverbände unter Förderung des preußischen Staates gegründet. Sie organisierten fachliche Pflege in den Kliniken und Heilanstalten und übernahmen weitere Aufgaben in der sozialen Fürsorge. Teilweise delegierten sie die Aufgaben wieder an die privaten Träger.


Das "Elberfelder System"

Dr. Bernhard Wuermeling (1854-1937), Stadtrat und zweiter Bürgermeister [Bildnachweis]
Dr. Bernhard Wuermeling war als Stadtrat und zweiter Bürgermeister maßgeblich an der Einführung des Elberfelder Systems, das von vielen Kommunen übernommen wurde, in Münster beteiligt.
Aufgrund rasant steigender Fürsorgekosten musste die Stadt ab 1880 für ihr System der Armenhilfe neue Finanzierungsmodelle entwickeln. Das "Elberfelder System" (benannt nach der Stadt Elberfeld, heute Wuppertal) versprach eine gute Lösung der Probleme. Es wurde 1894 in Münster eingeführt.
Das Elberfelder System regelte das Zusammenwirken von städtischer und privater Wohltätigkeit. Der Kontakt zwischen Armenpflegern und Bedürftigen wurde wesentlich intensiviert. Die Pflegerschaft wurde verstärkt, so konnten die Armenbesuche in kürzeren Abständen stattfinden. Von nun an übten 205 Armenpfleger und Armenvorstände (Vorsteher der Armenbezirke) ihr Amt aus.
Nach dem Elberfelder System wurden die Höchstsätze der Unterstützung festgelegt. Wenn das Einkommen eines Bedürftigen den Höchstsatz nicht erreichte, wurde der Differenzbetrag als Unterstützung gewährt. Überstiegen die Einkünfte eines Bedürftigen diesen Satz aber, so blieb der Bittsteller von öffentlichen Beihilfen in der Regel ausgeschlossen. Insgesamt setzte damit eine wesentlich genauere Untersuchung der individuellen Situation der Antragsteller und Empfänger ein. Ziel der Armenverwaltung nach dem Elberfelder System war auch die (Wieder-)Eingliederung der arbeitsfähigen Bittsteller in den Arbeitsprozess nach dem Motto "Arbeit statt Almosen". Der Erfolg des Elberfelder Systems, die Reduzierung der Kosten der Armenfürsorge, blieb auch in Münster nicht aus.


 letzte Seite
© 2000 Stadtarchiv Münster | Impressum | Sitemap top